In einer Familie
Er hatte nicht nötig gehabt,
sie mit Gewalt und unter Verletzung der Interessen
anderer durchzusetzen. Mindestens hatte er nie das
Bewußtsein, dies zu thun, gehabt, da er seine per-
sönliche Freiheit nicht durch die Ehe gebunden
fühlte. Wenn er seine Frau täuschte wie ehemals
seine Geliebten, so war dies eine nur zu natürliche,
weil alltägliche Fortsetzung des Junggesellen- und
Kavalierlebens, über die er sich niemals ausdrücklich
Rechenschaft ablegte. Zudem war seine Gattin meist
kränklich, sie lebte so gut wie getrennt von ihm,
ohne seinem Leben irgendwelche Anregung oder ei-
nen bestimmten Inhalt zu geben. Hätte er sich je-
mals nach dem Stande ihres Verhältnisses gefragt, so
wäre er für seine Person zu dem Ergebnis gelangt,
der Frau nichts schuldig zu sein. Aber damals lagen
ihm solche Reflexionen fern, und als er sie später an-
stellte, stand ihr Ergebnis doch nicht mehr ganz fest.
Der Tod seiner Gattin hatte sein Gewissen weicher
gemacht; er konnte nun zuweilen eine niederschla-
gend klare Vorstel ung haben von al dem, was er der
Verstorbenen hätte sein sollen und was er ihr nicht
gewesen. Seine Lebensbegierde zwar und die Ge-
wohnheit seines Lebens bäumte sich nur noch hefti-
ger auf bei dem Eindringen dieser ersten, hoffnungs-
losen Melancholie. Damals war es, daß er sich einem
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letzten, heftigen Anfall von Unregelmäßigkeiten
und Ausschweifungen ergab, der die bis dahin noch
immer kernhafte Gesundheit des nicht mehr Ju-
gendlichen untergrub. An einem Spielabend setzte
er den größten Teil des Vermögens zu, das seine Frau
ihm hinterlassen. Und fast zur selben Zeit traf ihn
ein anderes Unglück. Grubeck war immer ein for-
scher Reiter und ein guter Kamerad, aber nicht eben
ein hochbefähigter Offizier und jedenfalls kein Tak-
tiker gewesen. Nach einem unglücklichen Manöver
ereilte ihn das Schicksal der Verabschiedung. Sodann
war es erstaunlich, wie schnell die veränderten Le-
bensbedingungen ihm die jugendliche Elastizität
nahmen, von der er wenigstens noch den Anschein
besessen, so lange er die Uniform trug.
Wie er aber nach dem Tode seiner Gattin ent-
deckt, daß mit der stillen, meist unsichtbaren Frau
dennoch ein Stück seines Lebens dahingeschwun-
den, daß die Atmosphäre, die ihn umgab, sich verän-
dert hatte, so bemerkte er nun andererseits, einmal
aus seinem letzten, schweren Rausche erwacht, daß
es ein anderes Stück seines Lebens gab, das ihm bis-
her so gut wie fremd geblieben: seine Tochter. Wenn
er in der stillen, mehr als je vorher nachdenklichen
Zeit, die nun für ihn folgte, den Umgang Annas auf
sich wirken ließ, so fragte er sich mehr als einmal,
wie ihm dieses sein eigenes Fleisch und Blut so gren-
zenlos fremd hatte bleiben können, wie es ihm jetzt
erschien. Woran die Mutter die längste Zeit durch ih-
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ren leidenden Zustand verhindert worden war, das
hatte er selbst stets vergessen, seine Pflicht, die Ent-
wicklung des heranwachsenden Kindes zu führen,
ihre Seele und ihren Geist zu formen. Jetzt traf ihn
das Ergebnis dieser Entwickelung, das er bei der ru-
higen und ernsten, wenig kindlichen Siebenzehnjäh-
rigen vorfand, überraschend genug. Wenn sich bei
den einsamen Mahlzeiten Vater und Tochter gegen-
übersaßen, versuchte er nun häufig, die gewöhlich
Schweigsame aus sich herausgehen und ihr Inneres
aussprechen zu machen. Es gelang ihm leicht; sie
antwortete auf alle seine Fragen in ihrer ruhigen, si-
chern Weise, und er fühlte wohl, daß, was sie redete,
nichts Zufälliges war, sondern daß alles in ihrer tief-
sten Natur begründet lag, daß aus allem ihr Geist
und ihre Seele blickte. Und diese hatten, auch das
empfand er deutlich, Bahnen eingeschlagen, die ihm
selbst fremd waren, die er nicht einmal zu überblik-
ken vermochte. Er erkannte, daß ihm hier nichts
mehr zu thun blieb. Dann war er nicht imstande, die
Tochter anzusehen, er blickte schweigend auf seinen
Teller nieder und hörte ihren Worten zu, die mit so
schlichter Natürlichkeit und wie zu einem Freunde
gesprochen wurden, und ganz leise schlich sich so
auch in seine Seele, wie später in die Wellkamps, der
alles besänftigende Frieden ein, den dies in seiner
prunklosen Selbstsicherheit so überlegene Geschöpf
um sich verbreitete. In solchen Stunden fühlte er sich
besser werden.
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Freilich war eine durchgreifende Umwälzung sei-
ner Natur hierdurch so wenig wie durch irgend wel-
che andern
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