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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Er hatte nicht nötig gehabt,
    sie mit Gewalt und unter Verletzung der Interessen
    anderer durchzusetzen. Mindestens hatte er nie das
    Bewußtsein, dies zu thun, gehabt, da er seine per-
    sönliche Freiheit nicht durch die Ehe gebunden
    fühlte. Wenn er seine Frau täuschte wie ehemals
    seine Geliebten, so war dies eine nur zu natürliche,
    weil alltägliche Fortsetzung des Junggesellen- und
    Kavalierlebens, über die er sich niemals ausdrücklich
    Rechenschaft ablegte. Zudem war seine Gattin meist
    kränklich, sie lebte so gut wie getrennt von ihm,
    ohne seinem Leben irgendwelche Anregung oder ei-
    nen bestimmten Inhalt zu geben. Hätte er sich je-
    mals nach dem Stande ihres Verhältnisses gefragt, so
    wäre er für seine Person zu dem Ergebnis gelangt,
    der Frau nichts schuldig zu sein. Aber damals lagen
    ihm solche Reflexionen fern, und als er sie später an-
    stellte, stand ihr Ergebnis doch nicht mehr ganz fest.
    Der Tod seiner Gattin hatte sein Gewissen weicher
    gemacht; er konnte nun zuweilen eine niederschla-
    gend klare Vorstel ung haben von al dem, was er der
    Verstorbenen hätte sein sollen und was er ihr nicht
    gewesen. Seine Lebensbegierde zwar und die Ge-
    wohnheit seines Lebens bäumte sich nur noch hefti-
    ger auf bei dem Eindringen dieser ersten, hoffnungs-
    losen Melancholie. Damals war es, daß er sich einem
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    letzten, heftigen Anfall von Unregelmäßigkeiten
    und Ausschweifungen ergab, der die bis dahin noch
    immer kernhafte Gesundheit des nicht mehr Ju-
    gendlichen untergrub. An einem Spielabend setzte
    er den größten Teil des Vermögens zu, das seine Frau
    ihm hinterlassen. Und fast zur selben Zeit traf ihn
    ein anderes Unglück. Grubeck war immer ein for-
    scher Reiter und ein guter Kamerad, aber nicht eben
    ein hochbefähigter Offizier und jedenfalls kein Tak-
    tiker gewesen. Nach einem unglücklichen Manöver
    ereilte ihn das Schicksal der Verabschiedung. Sodann
    war es erstaunlich, wie schnell die veränderten Le-
    bensbedingungen ihm die jugendliche Elastizität
    nahmen, von der er wenigstens noch den Anschein
    besessen, so lange er die Uniform trug.
    Wie er aber nach dem Tode seiner Gattin ent-
    deckt, daß mit der stillen, meist unsichtbaren Frau
    dennoch ein Stück seines Lebens dahingeschwun-
    den, daß die Atmosphäre, die ihn umgab, sich verän-
    dert hatte, so bemerkte er nun andererseits, einmal
    aus seinem letzten, schweren Rausche erwacht, daß
    es ein anderes Stück seines Lebens gab, das ihm bis-
    her so gut wie fremd geblieben: seine Tochter. Wenn
    er in der stillen, mehr als je vorher nachdenklichen
    Zeit, die nun für ihn folgte, den Umgang Annas auf
    sich wirken ließ, so fragte er sich mehr als einmal,
    wie ihm dieses sein eigenes Fleisch und Blut so gren-
    zenlos fremd hatte bleiben können, wie es ihm jetzt
    erschien. Woran die Mutter die längste Zeit durch ih-
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    ren leidenden Zustand verhindert worden war, das
    hatte er selbst stets vergessen, seine Pflicht, die Ent-
    wicklung des heranwachsenden Kindes zu führen,
    ihre Seele und ihren Geist zu formen. Jetzt traf ihn
    das Ergebnis dieser Entwickelung, das er bei der ru-
    higen und ernsten, wenig kindlichen Siebenzehnjäh-
    rigen vorfand, überraschend genug. Wenn sich bei
    den einsamen Mahlzeiten Vater und Tochter gegen-
    übersaßen, versuchte er nun häufig, die gewöhlich
    Schweigsame aus sich herausgehen und ihr Inneres
    aussprechen zu machen. Es gelang ihm leicht; sie
    antwortete auf alle seine Fragen in ihrer ruhigen, si-
    chern Weise, und er fühlte wohl, daß, was sie redete,
    nichts Zufälliges war, sondern daß alles in ihrer tief-
    sten Natur begründet lag, daß aus allem ihr Geist
    und ihre Seele blickte. Und diese hatten, auch das
    empfand er deutlich, Bahnen eingeschlagen, die ihm
    selbst fremd waren, die er nicht einmal zu überblik-
    ken vermochte. Er erkannte, daß ihm hier nichts
    mehr zu thun blieb. Dann war er nicht imstande, die
    Tochter anzusehen, er blickte schweigend auf seinen
    Teller nieder und hörte ihren Worten zu, die mit so
    schlichter Natürlichkeit und wie zu einem Freunde
    gesprochen wurden, und ganz leise schlich sich so
    auch in seine Seele, wie später in die Wellkamps, der
    alles besänftigende Frieden ein, den dies in seiner
    prunklosen Selbstsicherheit so überlegene Geschöpf
    um sich verbreitete. In solchen Stunden fühlte er sich
    besser werden.
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    Freilich war eine durchgreifende Umwälzung sei-
    ner Natur hierdurch so wenig wie durch irgend wel-
    che andern

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