In einer Familie
es sie so un-
heilvoll hinzog, war die Tochter ihres eigenen Gat-
ten. Dies war der Punkt, der sich inmitten ihres in-
neren Aufruhrs immer tiefer in ihr Bewußtsein ein-
gebohrt hatte. Das, falls sie unterlag, so unerhörte
Verhältnis schien ihr andererseits den einfachsten
Ausweg darzubieten. Wenn sie, die seine Stiefmutter
war, es durchsetzte, das Verhältnis zu dem jungen
Manne fortan ein unbefangen mütterliches werden
zu lassen, so war alles in das natürliche Geleise
gebracht. Es mußte ihn entwaffnen und es konnte
niemand befremden. Vorerst war demnach ihre Auf-
gabe – der jähe, rastlose Trieb zu handeln, zu verhin-
dern und zu ordnen, lenkte ihren Gedankengang so-
fort in dieser Richtung weiter –, sich hierzu jede
mögliche Berechtigung zu erwerben. Sie begriff
ohne weiteres, daß sie, um das beabsichtigte Anse-
hen und die Autorität einer Älteren zu erlangen, ihre
Gegensatzstellung zu Herrn v. Grubeck aufgeben
müsse. Sie mußte mit ihrem so viel älteren Gatten
gleichgestellt sein, mit ihm kameradschaftlich Hand
in Hand gehen, um ihrerseits als Matrone gelten zu
können. Daß die gequälte Frau dieses Ziel, welches
eine so grausame Überwindung der natürlichsten
Eitelkeit erforderte, so ganz ungestört im Auge be-
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hielt, bezeugte noch einmal, wie aufrichtig und wie
unwiderstehlich ihr Trieb war, den einzigen, ihr
möglich erscheinenden Ausweg aus allen Irrgängen
einzuschlagen. War hierfür noch irgend ein Beweis
nötig, so wurde er sicherlich auch durch die Rück-
sichtslosigkeit und Selbstüberwindung erbracht, mit
welcher sie eine Annäherung an ihren Gatten einlei-
tete, von dem sie in der Zeit ihres Nebeneinanderle-
bens durch Alles, durch Temperament, Sympathien
und Anschauungen getrennt und mit dem sie durch
nichts anderes als durch das rein äußerliche Band ih-
rer Ehe verbunden gewesen war. Auch wurde sie
durch den Mißerfolg ihres Versuches, die Kluft, wel-
che sie von ihrem Gatten trennte, zu überbrücken,
kaum überrascht.
Bei der geringen Achtung, welche Dora für den
Charakter ihres Mannes hegte, hatte sie bei ihm nicht
einmal den Wunsch vorausgesetzt, eine Verbesse-
rung des Verhältnisses herbeigeführt zu sehen. That-
sächlich hatte Herr v. Grubeck indes nie aufgehört,
auf das drückendste al das Peinliche zu empfinden in
seiner Ehe mit der für ihn unverständlichen und zu-
dem jungen Frau, die ihm, den armen Offizier, alles,
was er jetzt Sein nannte, gebracht, und der er nichts
dagegen bieten konnte. Doch war der natürlicher-
weise in dieser Empfindung ruhende Wunsch, das
Falsche, das in sein Leben geraten und es umgewan-
delt, auszuscheiden, ein höchst platonischer: Herr v.
Grubeck war stets einer Überlegung seiner Verwirk-
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lichung ausgewichen. Bei derartigen Lebensbedin-
gungen eines Mannes liegt der Vergleich mit der Er-
scheinung nahe, daß auch die Frau, nachdem sie sich
einmal verkauft hat, das Bewußtsein ihrer Unehre
nie völlig zu verlieren pflegt, aber dennoch kaum je
über ihre gänzliche Unfähigkeit mit sich streitet, je-
mals eine Rückkehr aus ihrem moralisch verarmten,
aber materiell verbesserten Leben anzubahnen. So
sehr der Major namentlich in der Zeit, als er den Ge-
gensatz und die häusliche Rivalität seiner Tochter
mit seiner zweiten Gattin sich immer mehr verschär-
fen sah, unter dem Mißverhältnis seiner neuen Häus-
lichkeit, in der er sich förmlich »gesunken« vorkam,
gelitten, hatte er doch immer gefühlt, daß er die An-
nehmlichkeiten seiner jetzigen Lebenslage nie mehr
werde entbehren können. Dabei war es bemerkens-
wert, daß der Mann, der diese moralisch bedrückte
und gekrümmte Existenz führte, nicht eine gewalt-
same Umformung des Charakters erfahren hatte, der
ehemals den jüngeren Offizier von so offener, solda-
tisch gerader Männlichkeit erscheinen ließ. Sein
Charakter hatte nur durch die veränderten Lebens-
umstände eine neue und mehr verräterische Beleuch-
tung erhalten. Viele andere sind darin glücklicher, als
er es war. Es gibt Menschen, deren Schwäche nie rich-
tig offenbar wird, weil das Leben sie niemals auf die
Probe stellt, wie es andere gibt, welche ehrlich geblie-
ben sind, weil sie niemals Ursache und Gelegenheit
zur Unehrlichkeit gehabt haben.
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Herrn von Grubecks Ansprüche an das Leben, die
Forderungen seiner Natur waren bis zu dem Tode
seiner ersten Gattin und in seinem Offiziersleben
ganz befriedigt worden.
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