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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Einflüsse ermöglicht. Der schwächliche
    Egoismus, der durch sein früheres Leben, in dem er
    keinerlei Hindernisse zu überwinden gehabt und
    verborgen bleiben konnte, verwöhnt war, wirkte
    gleichwohl in ihm fort. Die von Anna einst ihrem
    Verlobten gegebene Erklärung, als habe ihr Vater
    seine zweite Ehe ihrer selbst wegen geschlossen, war
    gewiß nicht unberechtigt. Es hatte Herrn v. Gru-
    beck aufrichtig bekümmert, eingeschränkte, fast
    ärmliche Verhältnisse auf ein ganzes Leben hinaus
    mit Wahrscheinlichkeit für seine Tochter vorauszu-
    sehen. Da die Schuld für ihre Vermögenslage ihn
    selbst traf, mochte er sich sogar einreden, sie auf
    diese Weise gut machen zu können. Es war nur die
    Frage, ob dieser Grund hinreichend gewesen wäre,
    wenn nicht auch er selbst, blieb alles wie es damals
    stand, unter den trüben Empfindungen des Alterns
    einem gegen seine Lebensgewohnheiten herb abste-
    chenden Rest seines Daseins hätte entgegenblicken
    müssen.
    Daß sich seine Wahl auf Fräulein Dora Linter ge-
    lenkt, war wohl vor allem der Gelegenheit zuzu-
    schreiben, welche ihm durch die ihm selbst – er war
    nicht ganz ohne Selbstkritik – unerklärliche Bevor-
    zugung seitens des vielumworbenen jungen Mäd-
    chens geboten ward. Außerdem sagte ihm das Alter
    der Dame zu, in dem er beinahe eine Entschuldigung
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    für sich sah, und ihr noch über dies Alter hinausge-
    hendes, stillvornehmes, allen jugendlichen Aufre-
    gungen abgeneigtes Wesen.
    In den neuen Verhältnissen nahm dann alles sei-
    nen notwendigen Gang. Die Frau, die er nicht liebte,
    vermochte er ebenso wenig zu verstehen. Nachdem
    einmal die stetigen Rücksichten, die der halb gesell-
    schaftliche Ton der ersten Zeit ihres Zusammenle-
    bens mit sich brachte, ein wenig beiseite geschoben
    waren, förderte die offenere Verkehrsart zwischen
    den Gatten sofort Grundantipathien zu Tage, aus
    denen die einschneidendsten Konflikte zu erwach-
    sen drohten. Dies hatte zur Folge, daß Herr v. Gru-
    beck zu einem formellen, abgemessenen Wesen zu-
    rückkehrte. Ihr ehelicher Verkehr verringerte sich
    schnell und hörte ganz auf. In dem Maße aber, wie
    der Major sich von der Gattin zurückzog, vermehrte
    sich sein Schuldbewußtsein ihr gegenüber. That-
    sächlich war dies die durch den veredelnden Verkehr
    der Tochter mit ihm vorgegangene Veränderung:
    sein Gewissen war verfeinert worden. Wenn zu glei-
    cher Zeit der Egoismus seiner Lebensführung nur
    immer noch rücksichtsloser wurde, so zeigte dies,
    daß auch bei ihm eine Krankheit des Willens zum
    offenen Ausbruch gelangt war. Nur außergewöhn-
    liche Charaktere werden in unserer unfruchtbar kri-
    tischen und zu schlichten Handlungen unfähigen
    Zeit ganz frei von dieser seelischen Krankheit sein,
    welche in ihren Opfern die Empfindsamkeit gegen
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    sich selbst, die Selbstkritik zu immer schwächliche-
    rer Verfeinerung ausarten läßt, während zugleich die
    Fähigkeit, ihre Handlungen nach ihrer besseren Ein-
    sicht zu lenken und zu regeln, in ihnen immer mehr
    erlahmt. Bei weicheren, von vornherein zur Refle-
    xion und zum Empfindungsdilettantismus be-
    stimmten Naturen pflegt die Krankheit des Willens
    zu einem vollständigen Aufgeben der Initiative zu
    führen; die Selbstkritik nimmt eine so virtuose Viel-
    seitigkeit an, daß: die einfachste Entscheidung nach
    einer bestimmten Seite hin dem Betroffenen un-
    möglich wird und sein Leben sich in einer ewig
    schwankenden Ratlosigkeit verliert. War dies etwa
    Wellkamps Fall, so lag der des Majors v. Grubeck an-
    ders; denn es war der einer mit starken eigensüchti-
    gen Trieben ausgerüsteten Natur. Die Krankheit war
    hier viel später zum Ausbruch gelangt, durch Un-
    glücksfälle äußerer Art, welche jäh zur Besinnung
    brachten und zur Rückschau aufforderten, noch
    mehr, wenn sie wie hier in die Zeit fielen, wo die
    Triebe bereits hinlänglich abgeschliffen waren, um
    die Genußfähigkeit erlahmen zu lassen. Das begin-
    nende Alter ist mit der sozusagen körperlichen Me-
    lancholie der Ernüchterung ganz geeignet, das
    Schuldbewußtsein zu wecken. Letzteres wächst un-
    aufhaltsam, mit seiner Reflexion das gegenwärtige
    Leben nicht weniger als das vergangene angreifend
    und zersetzend. Aber der eigensüchtige Wille des
    Triebmenschen ist darum nicht gebrochen. Er wirkt
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    mit der Reflexion zugleich fort, gegen die er sich mit
    immer wachsender Heftigkeit empört. So entsteht
    der Trotz des mehr oder weniger moralisch Entglei-
    sten

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