In einer Familie
dieser Art gegen das, was er selbst als sein bes-
seres Ich empfindet.
In solcher Stimmung des selbstquälerischen Trot-
zes also war es, daß der gealterte und durch den in-
neren Unfrieden der letzten Jahre verbitterte Mann
die ihm noch einmal dargereichte Hand der Gattin
zurückwies. Er zog sich vor ihrer unvermittelten
Annäherung mit dem Gefühl des Unbehagens zu-
rück, das ihm die Störung seiner selbstsüchtig abge-
schlossenen Bequemlichkeit verursachte, selbst
wenn sie thatsächlich zum Besseren führen konnte.
Ob dies überhaupt möglich gewesen wäre, ob die
tiefen Gegensätze, die in der stummen Feindschaft
dieser ganzen Zeit zwischen den Gatten aufgerissen
waren, je auszuheilen waren, daran hatte Dora in der
Lage, welche ihr jenen Entschluß abnötigte, schwer-
lich gedacht. Sicher war es jedoch, daß der Wider-
wille des Gatten, auf ihre Absichten einzugehen,
ohne für sie ein Hindernis zu bilden, ihr vielmehr
eine gewisse Genugthuung bereitete. Der Mann, auf
den sie herabgesehen, obwohl oder weil das Zusam-
menleben mit ihm genau so ausgefallen, wie sie es
von Anfang berechnet, gab ihr bei dieser Gelegen-
heit das Recht zu noch rücksichtsloserer Verachtung.
Auch wurde ihre Absicht durch sein Verhalten am
Ende nicht durchkreuzt. Ob er ihr entgegenkam
152
oder nicht, in jedem Fal e war es ihr ermöglicht, den
vertraulicheren Ton, den sie ihm gegenüber in Ab-
wesenheit der jungen Leute eingeleitet, auch nach
deren Rückkehr anzuschlagen.
Ihr Entschluß, den sie unter der treibenden Not-
wendigkeit, sich vor sich selbst zu retten, gefaßt, war
alsbald zur fixen Idee geworden. Auch sagte ihr der
Instinkt, welcher uns zuweilen eine Wahrheit über
unsere innerste Seelenbeschaffenheit verrät, und
welcher wohl kein anderer als der der Selbsterhal-
tung ist, daß diese Idee ganz so, wie sie sich ihr auf-
gedrängt, bestehen bleiben müsse. Jede Überlegung
konnte nur Zweifel, Unsicherheit und somit die al-
lergrößte Gefahr zur Folge haben. Sie vermied daher
aufs sorgfältigste die einsamen Träumereien, die so
lange ihre liebste, schmerzlich-süße Gewohnheit ge-
wesen waren. Zur Lektüre, die ihr sonst stets den
Eingang zu einem Reich geheimnisvoller Empfin-
dungen geöffnet, in welchem sich ihre Träume ver-
irrten, suchte sie jetzt nicht die gefährliche Muße.
Dagegen nahm sie Beschäftigungen verschiedener
Art, die sie lange vernachlässigt, wieder auf. Lange
Zeit liegen gebliebene Korrespondenzen wurden
nun plötzlich mit großer Hast erledigt. Auch begann
die junge Frau in einer zufälligen Laune sich mit der
seit Jahren nicht mehr geübten Musik zu beschäfti-
gen. Sie besaß kein ausgesprochenes Talent und hatte
sich auch früher niemals eine nennenswerte Übung
erworben. Inzwischen waren ihre Finger für das
153
Klavier ein wenig steif geworden, und um sie aufs
neue einzuüben, war sie nun veranlaßt, sich halbe
Tage und bis zu einer angenehmen Ermattung mit
den einfachsten Exerzitien zu beschäftigen. Allmäh-
lich ging sie, ohne eine besondere Auswahl vorzu-
nehmen, zu den schlichten Schubertschen Melodien
über, die ihr unter ihren Noten gerade in die Hände
fielen. In die tiefe und ganz vergeistigte Melancholie
des Meisters intim einzudringen, war sie wohl nicht
imstande, doch weckte dieselbe etwas wie einen
physischen Widerhall in ihr. Bei irgend einem
schmerzlichen Mollakkord geschah es, daß sie zu-
sammenschauerte, und Thränen in ihre Augen tra-
ten. Es überschlich sie dann ein ganz unbestimmtes,
wesenloses, aber aufrichtig gefühltes Selbstbedauern
und zugleich eine stille Ergebung in die Notwendig-
keiten, unter denen sie lebte. Wenn sie sich nach sol-
chen Stunden vom Flügel erhob, so fühlte sie sich im
Innern ruhiger und ernster geworden und der Auf-
gabe, die sie sich gestellt, besser gewachsen.
Besonders in diesen Augenblicken liebte sie es,
hauptsächlich um sich ihre still-pflichtbewußte
Stimmung ausdrücklich zu bestätigen, die Gesellig-
keit ihres Gatten aufzusuchen. So ungelegen dem al-
ten Herrn, den sie meist in seine Sammelmappen
vertieft oder mit eigener Kunstübung beschäftigt
traf, die Störung kommen mochte, war er doch zu
sehr Kavalier, dies merken zu lassen. Er erklärte
dann der ihm gegenüber Sitzenden einen oder den
154
andern seiner zeichnerischen Versuche und hörte
mit vollendeter Aufmerksamkeit zu, wie sie von ih-
rer Musik sprach oder des Briefes irgend eines
Weitere Kostenlose Bücher