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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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ge-
    meinschaftlichen Bekannten Erwähnung that, um
    den sich beide seit Jahr und Tag nicht gekümmert.
    Rein äußerlich schien es so, als sei das Verhältnis der
    Gatten von Grund aus umgestaltet, und als sei alles
    durch die Art dieses Verhältnisses etwa Vorbereitete
    unmöglich geworden, so ruhig-familiär war die Re-
    deweise der Frau und so höflich besorgt diejenige
    des Mannes, der allerdings seinerseits derartige Un-
    terredungen niemals herbeiführte und nach ihrer
    Beendigung ein Unbehagen wie nach einer unnütz
    verlorenen Stunde zu überwinden hatte.
    Bei einer dieser Gelegenheiten hatte Dora ihm,
    im Anschluß an ihr Musikgespräch, nahegelegt, sie
    gelegentlich in die Oper zu führen. Auch dieser so
    außergewöhnliche Wunsch vermochte, neben ihrem
    auch sonst veränderten Betragen, Herrn v. Grubeck
    wohl zu überraschen, ohne ihn aber in Verwunde-
    rung zu setzen. Einerseits war ihm selbst, seit er die
    gewohnte Gesellschaft der Tochter entbehrte, das
    Haus verödet und sein eigenes Leben zuweilen un-
    heimlich still erschienen; und im Zusammenhang
    damit kam ihm leicht der Gedanke, daß Dora, deren
    unerträgliches Verhältnis zu Anna ja auch ihn fort-
    während bedrückt, jetzt, da sie ihn von dem Ein-
    flüsse der Rivalin frei sah, eine Annäherung an ihn
    suchte. Die männliche Eitelkeit, die auch in einem
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    Verhältnis wie diesem nicht gänzlich außer Wirkung
    gesetzt war, machte ihm den Gedanken einleuch-
    tend genug. Andererseits war er von jeher gewohnt
    gewesen, alle auffallenden Äußerungen der Frau auf
    ihre nervös-launische und, dessen war er zu seinem
    Unglück gewiß, unbefriedigte Natur zurückzufüh-
    ren. Ohne ausdrücklich über den neuen Wunsch
    Doras nachzudenken, kam er ihm nach. Die paar
    klassischen, ihm aus seiner Jugend in der Erinne-
    rung gebliebenen Opern, in die er sie führte, blie-
    ben nun zwar auf sie ohne Eindruck. Indes hatte
    gleich der erste Abend, den sie so außer Hause zu-
    gebracht, einen für sie selbst überraschenden Erfolg.
    Sie war als eine der Gesellschaft bisher fast unbe-
    kannte und ungewöhnliche Erscheinung in ihrer
    Loge viel beachtet worden. Sie hatte Gelegenheit,
    wieder die ihr ehemals so geläufige Augen- und Fä-
    chersprache zu reden und, wie dies in großer Ge-
    sellschaft der Fall ist, ohne besonderes Interesse an
    der einzelnen Person, das große Publikum auf sich
    wirken zu fühlen, ebenso wie sie den Eindruck ver-
    spürte, den sie selbst auf den Saal machte. So war sie
    nach Jahren einmal wieder zu dem ungestörten
    Selbstgenuß gekommen, dessen Frauen ihres Schla-
    ges sich nicht ungestraft dauernd berauben. Sie be-
    griff nicht, wie sie dies so lange Zeit fast vollständig
    hatte thun können. Mit dem ersten Ausfluge, den
    sie gewagt, und den sie nun häufig zu wiederholen
    beschloß, war viel von dem innern Fieber ver-
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    schwunden, das nur in der fortwährenden Einsam-
    keit des Hauses eine so beängstigende Höhe hatte
    erreichen können.
    Nun aber schien alles so gut geregelt, daß sie
    selbst an dem Tage, als die jungen Eheleute ihre
    Rückkehr für den Abend anzeigten, eine fast heitere
    Ruhe bewahrte. Als sie Wellkamp endlich gegen-
    übertrat, hatte sie wirklich die Genugthuung, ganz
    ungezwungen die Haltung zu finden, die sie beab-
    sichtigt. Noch mehr hatte es sie befriedigt, die Wir-
    kung davon auf den jungen Mann wahrzunehmen;
    wie er anfangs erstaunt war, um sich dann schnell
    und mit einer sichtlichen Beruhigung, in das verän-
    derte Verhältnis zu finden, und wie es durch seine
    fernere Unterhaltung wie ein endgiltiges Aufatmen
    ging. Dies alles zu fühlen, hatte ihr eine süß-melan-
    cholische, aber so sichere und zufriedene Stimmung
    gegeben. Warum mußte diese so schnell und so
    schrecklich gestört werden? Sie hatte in ihren hasti-
    gen, ganz von dem unwiderstehlichen Trieb zur
    Handlung bestimmten Berechnungen, welche sich
    ausschließlich mit dem Manne beschäftigten, die
    Frau überhaupt fehlen lassen. Dies war es, was jetzt
    das Verhängnis beschleunigte. In al den Wochen, in
    denen ihre fixe Idee ihr immer von neuem die Vision
    eines ersten Wiedersehens mit Wellkamp gezeigt,
    hatte sie sich Annas kaum ein- oder zweimal in un-
    bedeutender Weise erinnert. So mächtig war die Vor-
    eingenommenheit, welche sie der neuen Situation
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    entgegenbrachte, daß sie auch noch in jener halben
    Stunde vor dem Kamin, während sie jede unmerk-
    lichste Äußerung von Wellkamps Stimmung er-
    haschte, für die

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