In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
wurde?«
»Über anderthalb Jahre, aber in dieser Zeit hat sie sich so sehr verändert. Dann fing sie an, sich Maritas Kleider zu leihen, und …« Er stockte. »… und da ging der Ärger los. Ich fing an, beide gleich zu behandeln. Ich habe ihnen zu Weihnachten sogar die gleichen Stiefel geschenkt …«
»Ugg-Boots?«, hakte Quinn nach.
»Ja.«
Batten ergriff das Wort, ruhig und überlegt. Zum ersten Mal spürte man so etwas wie Mitgefühl. »Würden Sie sagen, Itsy habe Ihre Frau imitiert? Marita muss doch für sie eine Art Vorbild gewesen sein?« Er blickte Kennedy an. »Hat sie sich Mühe gegeben, so wie Ihre Frau auszusehen, was denken Sie?«
Iain lachte barsch. »Es war genau anders herum, wenn überhaupt. Vor einigen Monaten war Marita im Krankenhaus und hat sich das Gesicht ein wenig liften lassen oder so, und dem Chirurgen hat sie ein Bild von Itsy gezeigt. Sie hat ihm gesagt, so wolle sie aussehen. Marita trinkt gern, und in ihrer Jugend hat sie geraucht, auch heute noch gelegentlich, und so langsam ließen sich die Spuren von ihrem Gesicht ablesen. Wohingegen sich Itsy deswegen keine Sorgen machen musste, sie hat ein absolut jugendliches Gesicht.«
»Hat Ihre Frau von der Affäre gewusst?«
»Ich glaube nicht. Aber wenn, hätte sie weniger die Tatsache gestört, dass ich eine Affäre habe, sondern dass die andere Frau Itsy war.«
»Warum sagen Sie, es hätte sie nicht gestört, Mr. Kennedy?«
»Weil Marita … na ja … sie war nie besonders treu. Bei keinem ihrer Ehemänner. Das ist eigentlich allgemein bekannt«, fügte er unglücklich hinzu. »Auch das habe ich erst nach unserer Heirat herausgefunden.«
»Mr. Kennedy, hatte Itsy einen besonderen Freund, jemanden, dem sie wirklich vertraute?«, fragte Batten.
»Ich würde ich sagen: Bobby. Den kleinen Tony Abbott. Außerhalb unseres Kreises niemanden.«
»Danke.«
Die Schlichtheit der Frage und die Zufriedenheit mit der Antwort, die Batten gab, überraschten die anderen. Der Anwalt hatte sich als Erster wieder gefasst.
»Also, wenn Sie uns nicht mehr brauchen«, sagte er, schob die Kappe auf seinen Stift und atmete erleichtert auf. »Kommen Sie, Iain, ich fahre Sie nach Hause.«
»Ich muss Sie bitten, das Land nicht zu verlassen. Eigentlich sollten Sie nirgendwohin fahren, ohne es uns mitzuteilen«, meinte Anderson beiläufig.
»Ich schätze, die meiste Zeit werde ich im Krankenhaus verbringen«, sagte Kennedy. »Bei Itsy.«
Ich sehe sie gehen, der Nebel wirbelt um ihre Füße, während sie die Straße vor mir überquert. Ich sitze im Wagen und habe den Motor ausgeschaltet. Sie blickt nicht einmal in meine Richtung. Nicht so vorsichtig, wie sie sein sollte, meine kleine Prudenza. Leicht könnte ihr etwas zustoßen, und wer würde davon erfahren? Ich muss hier sein, ich muss sicherstellen, dass es ihr gut geht. Sie geht weiter, und sie humpelt, sehe ich, als habe sie ein schlimmes Knie oder als würde ihr Stiefel drücken. Doch in ihrer großen Steppjacke scheint ihr warm zu sein. Ich sehe den Umriss ihres Rucksacks, der auf ihrem Rücken auf und ab wippt und sich bei jedem Schritt bewegt.
Ich weiß, sie hat es eilig. Sie fühlt sich in diesem Nebel nicht wohl, und sie geht schnell vom Parkplatz zum Eingang des Krankenhauses, wo sie stehen bleibt und in der Tasche nach dem Handy sucht. Sie ist abgelenkt und achtet nicht auf ihre Umgebung, und das ist nicht gut. Wurden diese Frauen denn nicht gewarnt? Sie redet, dann schaut sie hinauf zu einem Fenster. Sie beendet das Gespräch und ist verschwunden durch die Hintertür des Western Infirmary. Ich sehe auf die Uhr; es ist fünf nach neun, und auf dem Parkplatz wird es noch dunkler sein, wenn die Besuchszeit vorüber ist und nur noch die Sicherheitslampen brennen. Durch das Tor fahren schon Wagen hinaus, deshalb fällt es mir leicht, mich hineinzustehlen und mir einen leeren Platz zu suchen. Ich steige aus, als sie aus der Tür kommen, Prudenza und Mrs. Kennedy. Mrs. Kennedy trägt einen knöchellangen schwarzen Mantel, den sie um den Körper gezogen hat. Ich gehe vor ihnen, bleibe im Schatten, der an die Wand fällt, und sie gehen an mir vorbei; sie erkennen mich nicht. Ich höre einen Fetzen ihres Gesprächs, während sie mich überholen. Sie sind unterwegs zum Universitätscafé. Marita meint, sie »musste einfach mal raus«. Prudenza sagt nichts. Alte Gewohnheiten legt man nicht so schnell ab, Instinkt verliert man nicht. Ich weiß schon eine Sekunde im Voraus, dass sie sich umdrehen
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