In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
Lieferwagens liegt, über die sehr öffentliche private Hölle, durch die Marita gerade geht, Spekulationen darüber, wer die Leiche ist, die in der Clarence Avenue hing, und ich habe das schreckliche Bild von dem armen Mädchen gesehen, das in der Millenniumsnacht vergewaltigt wurde. Damals, als das alles angefangen hat.
Und nun schließt sich der Kreis.
Ich habe sie gesehen, als sie zurückkam, aus dem Nebel auftauchte, den Weg neben dem Revier entlangging. Obwohl sie zu frieren schien, sah sie glücklich aus. Ich habe mich gefragt, wo sie gesteckt hat. Ich habe gewartet; bald würde sie sicherlich nach Hause fahren. Aber als sie wieder aus dem Revier kam, wurde sie von Anderson und einem dünnen Mann begleitet, der entweder einen Schal oder einen Pferdeschwanz trug. Die drei gingen den Weg entlang in den Nebel, rasch und zielstrebig, weshalb ich annehme, dass sie noch »arbeiten«.
Ich fahre die Hyndland Road hoch und entdecke die drei im Labyrinth der schmalen Einbahnstraßen hinter dem Revier. Man kann sie leicht verfolgen, ich kann ihren Weg fast voraussagen. Nach zehn Minuten biegen sie in die lange Einfahrt eines großen Hauses ein. Nobel, reich. Ich parke an der Ecke und beobachte sie durch den Nebel, warte darauf, dass Licht angeht, wenn die Tür geöffnet wird. Ich sehe, wie sie in der Wärme verschwinden.
Für den Augenblick ist Prudenza, mein kleiner Fisch, in Sicherheit, und ich kann mich ein wenig ausruhen.
O’Hare lebte mitten im West End in einem Haus, das in Eigentumswohnungen umgewandelt worden war. Die riesige geschwungene Einfahrt ließ erkennen, dass sich das Gebäude früher einmal beinahe mit Strathearn hätte messen können. Das große Zimmer vorn war im ersten Leben der Villa die Bibliothek gewesen, und mit dem alten Parkettboden und dem riesigen Eichentisch sah es immer noch wie eine Bibliothek aus, genau wie Costello es erwartet hatte. Der Rest der Möbel in dem Wohnzimmer war nach der Auflösung des Familienheims offensichtlich eher aus emotionalen Gründen mitgebracht worden. O’Hare, dieser praktische Mann, lebte nicht in einer praktischen Wohnung, und dafür mochte Costello ihn. Sie hätte ihr letztes Pfund darauf gewettet, dass das Radio auf Kanal Vier eingestellt sei. Auf dem Kaminsims drängten sich Fotos. Im Mittelpunkt befand sich ein Hochzeitsbild, auf dem ein junger dunkelhaariger Jack O’Hare mit einer jungen Frau im Brautkleid auf den Stufen der Glasgower Universitätskapelle stand. Costello wusste, Mrs. O’Hare war eine erfolgreiche Anwältin gewesen, doch sie konnte sich nicht erinnern, sie je kennen gelernt zu haben.
Es gab auch Bilder von der Tochter, einer Tochter, über die nie gesprochen wurde. Ihr Leben schien entsprechend den Familienfotos mit ungefähr fünfzehn aufzuhören. Costello schätzte, dass sie ungefähr so alt sein musste wie sie selbst, wenn sie noch lebte. Dann fragte sie sich, warum sie annahm, dass das Mädchen gestorben sei. Der Fall hinterließ langsam Spuren bei ihr: O’Hares Tochter war vermutlich eine Landärztin in einem hübschen Bilderbuchstädtchen wie Chipping Sodbury.
Costello lehnte sich auf dem Sofa zurück, starrte hinauf zum Stuck an der Decke und spürte, wie sich die Müdigkeit in ihr ausbreitete. Quinn hatte in der Küche das Kommando übernommen und klapperte herum, Anderson hatte sich in einen der großen Sessel sinken lassen, als wolle er darin Wurzeln schlagen. Sowohl er als auch sein Hemd sahen so zerknittert aus, als müssten sie dringend gebügelt werden.
»Und wie war es draußen im Gespensternebel mit unserem Begleiter?«, erkundigte sich O’Hare.
»Eigentlich ist er ein netter Kerl. Und wir haben Ally gesehen.«
O’Hare zog fragend die Augenbrauen hoch, und einen Moment lang hatte er frappierende Ähnlichkeit mit dem Albatros.
Anderson spürte, wie er langsam dahindämmerte. Die Müdigkeit war überwältigend, und er sank tiefer und tiefer in den Ledersessel, freute sich über sein Alter und die Bequemlichkeit des eingesessenen Möbelstücks, und er genoss die Hitze des Feuers und die Wärme des zwölf Jahre alten Malt in den Adern.
O’Hare hatte seine Wohnung für die Besprechung angeboten, und das Angebot hatte ein Bett für die Nacht eingeschlossen. Anderson konnte nicht widerstehen. Er hatte keine Sehnsucht nach dem Iglu, das sein möbliertes Zimmer darstellte.
Das Angebot galt auch für Batten, der bislang kein Hotel gefunden hatte, auf der Armlehne des Sofas saß, sich leise mit Costello unterhielt
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