In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
war abgemagert und alt geworden, ein Auge war mit einem Pflaster zugeklebt, der halbe Kopf war kahl, von den Zähnen waren auf einer Seite nur Stümpfe geblieben. Das Gesicht sah aus, als sei es regelrecht in sich zusammengefallen. Sie hob die rechte Hand.
»Sie möchte Ihnen die Hand geben.«
Anderson trat vor und nahm höflich die leblose Hand. Costello folgte seinem Beispiel. Emilys Auge schob sich ein wenig zur Seite, dann zurück zu Costello, dann wieder zur Seite.
»Darf ich ihr eine Frage stellen?«
Emilys Kopf rollte hin und her. »Sie meint, ja.« Jenny nahm ein riesiges flaches Touchpad, auf dem die Buchstaben alphabetisch aufgereiht waren, und schob es Emily unter die Hand. Dann betätigte sie einen Schalter, und ein Monitor auf dem Tisch am Ende des Bettes erwachte zum Leben. Jenny steckte die Kissen ihrer Schwester zurecht. »Sie wollen dir eine Frage stellen …«
Der Finger tippte auf das W, und ein W erschien auf dem Bildschirm. WER SIND SIE
»Ich bin DI Colin Anderson, und dies ist DS Costello.«
HALLO WAS WOLLEN SIE
»Erste Frage: Hatte der Mann, der Sie überfallen hat, einen Geordie-Dialekt?
NICHT GLASGOW
»Ich meine, er hat nur gesagt …«
Die Hand tippte auf das Touchpad. ICH WEISS WAS ER GESAGT HAT ICH WAR DABEI
Anderson spürte, dass ihn das eine braune Auge anstarrte wie ein Affe im Käfig. Der Blick strahlte Intelligenz und tiefe Traurigkeit aus. Ihm wurde übel.
»Die nächste Frage ist sehr wichtig, Emily.« Er holte tief Luft. »Haben Sie eine Schusswaffe gesehen? Wirklich gesehen?«
Zögern. NEIN
Anderson und Costello sahen sich an. »Aber Sie waren sich sicher?«
HAB SIE GEHÖRT HAB SIE GEFÜHLT GEROCHEN NICHT GESEHEN
»Haben Sie ein Klicken gehört?«
JA HAB SIE AM KOPF GEFÜHLT SIE ROCH – die Hand zögerte – ÖLIG
»Und es war eindeutig Stephen Whyte, den Sie gesehen haben?«
MILLIONENMAL JA
Costello frage: »Können Sie vielleicht kurz dort hinübersehen, Emily?«
Jenny beugte sich vor und half Emily, den Kopf zu drehen. Costello klickte mit dem Kugelschreiber neben Emilys gutem Ohr, und Emily schrie und wich erschrocken zurück.
»Ruhig, Emily, das war nur ein Kugelschreiber, Emily, mehr nicht«, sagte Jenny und strich ihrer Schwester über das dünne Haar, während sie Costello wütend anschaute. »Hat sie sich die ganzen Jahre lang geirrt?«, fragte sie.
»Es tut mir wirklich leid, Emily. Sind Sie immer noch sicher, was Sie gehört haben?«, fragte Costello.
Eine lange Pause folgte. NEIN ENTSCHULDIGUNG
»Keine Ursache. Das war eine große Hilfe für uns.«
Emily wand sich ein wenig und schlug mit der Faust auf das Touchpad. Ihr Finger begann zu tippen. FINDEN SIE IHN FINDEN SIE MR. KLICK
Einige Minuten später saßen sie wieder in Andersons Wagen.
»Können Sie mich am Krankenhaus absetzen?«, fragte sie.
»In der Nähe«, antwortete er. »Ich muss Mick abholen und mit ihm nach Saughton fahren, und wir dürfen nicht zu spät kommen. Wenigstens haben wir heute Morgen eins erreicht. Etwas Konkretes, das uns einen Grund für weitere Befragungen liefert. Es gab keine Schusswaffe.«
»Sie sind so, wie Schwestern sein sollten, die beiden«, sagte Costello nachdenklich.
»Die eine gibt ihr Leben und ihre Karriere auf, um für die andere zu sorgen? Obwohl der Vater sich die beste Pflege leisten kann?« Anderson fand das nicht so überzeugend. »Jedenfalls nicht so wie bei Marita und Itsy.«
»Gott, ich fühle mich beschissen, weil ich diese Kugelschreibernummer abgezogen habe«, meinte Costello.
»Wir mussten sichergehen.«
Costello stieg aus Andersons Wagen und ging hinüber zum Hintereingang des Krankenhauses. Bei Tageslicht war sie schon lange nicht mehr hier gewesen. Sie kam an O’Hares Büro vorbei, dessen Milchglasscheiben von innen mit Büchern und Papier vollgestellt waren und auf denen von innen der Schmutz von zwanzig Jahren Byres Road klebte.
Sie zuckte zusammen, als jemand hinter einer Mauer hervorkam und nach ihr griff. »Gott, Harry, Sie haben mich zu Tode erschreckt.«
»Wo haben Sie gesteckt?«, wollte er wissen.
»Was meinen Sie, wo ich gesteckt habe? Was machen Sie hier? Und lassen Sie meinen Arm los, Sie tun mir weh.«
»Entschuldigung.« Er ließ los. »Wo waren Sie denn nun?«
»Das erkläre ich Ihnen später. Warum sind Sie hier?«
»Ich soll Fotos machen, schon vergessen?« Er war wütend.
Sie ging weiter auf den Eingang zu. »Nein, ich meine, warum Sie mir hier auf dem Parkplatz in der Kälte auflauern? Warum sind Sie
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