In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
Wissen Sie, sie hat einen Haufen wunderschöner Vogelzeichnungen gemacht. Auf dem Zeichenblick sind Dutzende, alle beschriftet, aber ich glaube, von jemand anders. Sie ist sehr begabt.«
»Dann schreiben Sie das doch in Ihrem Bericht«, meinte Costello. »Aber dieses Zimmer – klingt ja nicht gerade nach einen Raum für eine geliebte Schwester, sondern eher für ein Kind, um das sich sonst niemand kümmert.«
»Das Einzige war ihr kleiner Snoopy. Der war völlig abgewetzt, als hätte sie ihn schon jahrelang. Aber der gehörte wenigstens ihr und war echt. Alles andere war billig und … irgendwie unpersönlich. Nicht ganz wie in den Geschichten, die man in den Illustrierten liest.«
»Ja. Und das Haus ist ein Riesenpalast. Wo wohnen Sie, Browne?«
»Jordanhill. Im armen Teil von Jordanhill.«
»Mein Wagen hat keinen TÜV , und Sie haben kein Reserverad«, sagte Costello und wühlte in ihrem Rucksack, wobei sie sich daran erinnerte, wie lässig Castiglia ihn von der Schulter hatte rutschen lassen.
»Aber die Kinder sind bei meiner Mutter in Balloch.«
»Morgen früh ist als Erstes die Einsatzbesprechung an der Reihe, ich denke also, die Kinder bleiben in Balloch.« Costello fluchte wütend und kramte weiter. »Willkommen in der Mordkommission.« Costello verzog das Gesicht. »Mist!«
»Meine Wohnungsschlüssel. Ich dachte, sie wären im Rucksack … und ich wette, die sind irgendwo im Barochan Moss herausgefallen.« Sie tippte mit den Fingern auf die Klappe und dachte nach. »Meine Nachbarn haben die Reserveschlüssel, aber die sind hundertzehn Jahre alt. Die kann ich so früh nicht aus dem Bett holen.«
»Also, meine Mutter behält meine Kinder noch einen halben Tag, da können Sie bei mir auf dem Sofa schlafen. Sie übernehmen die Fahrt, und ich kümmere mich um das Bed & Breakfast, in Ordnung?«
»Einverstanden.«
Browne ließ sich auf den Boden sinken, saß schweigend da und starrte vor sich hin, als die Erschöpfung sie jetzt überwältigte. Costello ließ sich neben ihr an der Wand nach unten rutschen und suchte in ihrem Telefon nach dem Taxiruf. Nachdem sie einen Wagen bestellt hatte, saßen sie noch eine Zeit lang da, wobei sich das Ticken der Uhr zur Stille gesellte. Costello bemerkte, dass Browne unregelmäßig atmete. Sie weinte.
»Was ist los? Wenn man das erste Mal bei so einem Fall dabei ist, kann es schon hart werden, Gillian. Kein Grund, sich zu schämen.«
»Darum geht es nicht.« Browne schniefte laut. »Es ist das Wetter, der Nebel. Ich hasse ihn; ich fühle mich, als würde ich beobachtet und verfolgt. Der Nebel macht mir schreckliche Angst.«
»Ach, da spielt Ihnen nur die Fantasie einen Streich«, sagte Costello, ging in eine der Toiletten und kam mit ein paar Blatt Papier zurück. »Hier, kräftig schnauben, wie meine Mutter immer gesagt hat. Und wenn Sie zu oft weinen, sollten Sie sich nach Partick zurückversetzen lassen. Gerüchten zufolge haben die weicheres Toilettenpapier.« Sie lächelte Browne zu, blickte hinaus in den gelben Nebel, der die Straßenlampen zu verschlingen schien. Sie wusste genau, wie es Browne ging, sie kannte dieses Gefühl der unsichtbaren Augen, die einen beobachteten.
Sie fühlte nämlich das Gleiche.
6
Mittwoch, 10. Februar 2010, 6:00 Uhr
DI Anderson kehrte um sechs Uhr aufs Revier zurück, nachdem er ein paar Stunden ruhelos in Peters Zimmer verbracht hatte. Sein Kopf hatte keinen Schlaf zugelassen, trotzdem konnte er wieder klarer denken. Er hatte eine Nachricht für die Kinder hinterlassen und Claires Zeugnis noch einmal gelesen und unterschrieben. Danach hatte er lange geduscht und war zum Frühstück bei einem McDonald’s vorbeigefahren, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Jetzt fühlte er sich so gut, dass er Littlewood eine SMS schickte, um zu fragen, wer auf dem Revier sei und ob er jemandem etwas mitbringen könne.
Littlewood war am Empfang. »Hatte keinen Bock«, antwortete er auf Andersons Frage, ob er auch ein paar Stunden zu Hause gewesen sei. Gerüchten zufolge verbrachte Littlewood mehr Zeit bei der Arbeit als jeder andere. Für jemanden, der ständig behauptete, er wolle mit dem Job aufhören, schien er das Revier nur mit großem Widerwillen zu verlassen. Anderson reichte ihm ohne weiteren Kommentar sein Frühstück. Natürlich würde sich Littlewoods fortgeschrittene Arteriosklerose für den doppelten Bacon Burger, die zwei Hash Browns und den großen schwarzen Kaffee bedanken. Ein Herzinfarkt war sicherlich nicht unbedingt ein
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