In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
Substanz war also zurückgeblieben, als die Waffe herausgezogen wurde? Man hatte diese Substanz analysiert und als Silikonfett identifiziert. Unter anderem wurde Silikonfett verwendet, um Ablagerungen in Waffenläufen zu verhindern. Er blätterte den Rest der Akte durch. Die ganze Zeit lag seine Zunge an seinem Gaumen, diesem zarten, zerbrechlichen Knochen. Den Schmerz konnte er sich nicht vorstellen.
Er sah zurück zum ersten Bild. Emily war zum Zeitpunkt der Vergewaltigung nur sechs Jahre älter gewesen als Claire heute. Ohne Frage würde er jeden umbringen, der so etwas seiner Tochter antun würde. Hatte einer aus Emilys Familie ähnlich gefühlt und auf Stephen Whytes Rückkehr gewartet – zehn Jahre? Er schüttelte sich abermals, um diesen Gedankengang zu verscheuchen. Ein guter Detective ließ sich nicht von seinen eigenen Theorien in die Irre führen: Das war gefährlich, vor allem bei Theorien, die auf Emotionen und nicht auf Fakten gründeten.
Sie mussten die Wand organisieren, Bilder aufhängen, eine Karte für die Präsentation besorgen, außerdem Karten mit größerem Maßstab vom Barochan Moss und von der Clarence Avenue. Sie mussten alle Informationen und Ideen zusammenbringen. Und es wäre gut zu wissen, was Lambie wusste. Und was Lambie nur vermutete.
Und warum er sich immer noch so sehr für den Fall interessierte.
DCI Quinn ließ ihre Handtasche auf Andersons Schreibtisch fallen und zog probeweise ihren Mantel aus, überlegte es sich jedoch anders und zog ihn wieder an. Sie sah auf die Uhr, die gerade auf 6:25 sprang. Draußen herrschte Totenstille.
»Heute wird ein harter Tag. Haben Sie überhaupt geschlafen?«, fragte Quinn.
»Ein wenig. Genug«, gähnte Anderson.
»Mehr als ich. Wie geht es voran?« Sie griff über den Tisch und nahm sich die Akte, die Anderson gelesen hatte.
»Ich verstehe, warum Sie darauf bestanden haben, die offizielle Identifizierung abzuwarten, ehe wir uns auf den Whyte-Fall stürzen. Gerade habe ich den Bericht über Emilys Vernehmung gelesen, und ich hätte den Bastard ebenfalls umgebracht, also könnten andere genauso gedacht haben. Wir müssen wirklich äußerst vorsichtig sein.« Er gähnte erneut und reckte sich.
Quinn widerstand dem Drang zu gähnen. »Seit Itsy angegriffen wurde, überstürzen sich alle da oben, uns zu helfen. Emily Corbetts Vater und Itsys Schwester haben beide Verbindungen. Also geht niemand ein Risiko ein. Ich hatte heute früh schon einen Anruf. Wir müssen Itsys Fall zusammen mit dem Whyte-Fall untersuchen. Aber nur unter der Bedingung, dass wir zwei bislang nicht benannte DS aus Paisley dazunehmen«, knurrte sie.
Anderson nickte langsam wie ein Mann, der eine schlechte Prognose beim Arzt bekommen hatte. »Das ist durchaus in Ordnung. Besser als zwei getrennte Ermittlungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns ohne Mulholland davonkommen lassen. Schließlich ist er ihr Goldjunge. Und ich muss unbedingt mit Ihnen über DS Lambie reden.«
»Keine Sorge, seine Aktivität in der Datenbank ist mir aufgefallen. Ich weiß über DS Lambie Bescheid. Ich werde mit Neil Yorke sprechen, dass er unbedingt einen Zugang auf diesem Level haben sollte. Sie nicht – offiziell nicht. Und er benimmt sich, als sei Emilys Akte nicht längst geschlossen.« Quinn presste die Lippen aufeinander. »Das ist sehr kompliziert, also möchte ich Sie bitten, sofort die Wand vorzubereiten – für beide Fälle.«
»Drei Fälle«, berichtigte Anderson sie. »Itsy, Whyte und Emily.«
Sie nahm die beiden Fotos von Emily – vorher und nachher –, steckte sie an einer Stelle, die mit Nadelstichen durchlöchert war, an die Wand und seufzte. »Drei Fälle.«
»Sollten Sie nicht in Ihrem Büro sein, Ma’am? Ich möchte nicht respektlos sein, aber Sie werden nicht dafür bezahlt, Bilder an die Wand zu pinnen.«
»Sie auch nicht. Aber wir sind die Einzigen hier, und ich muss auf jede Kleinigkeit achten. Wir müssen wissen, was die K-Division gedacht hat. Sie werden ihr Dreamteam schicken, also auf jeden Fall Vik Mullholland. Was haben wir? Sie: Sie sind gut, aber ausgebrannt und abgelenkt. Costello: Sie ist gut, war aber zwei Jahre nicht mehr im Einsatz. Browne ist psychisch angeschlagen und hat außerdem ein Gesicht, vor dem sich die Menschen auf der Straße fürchten werden. Littlewood ist eine wandelnde Leiche. Wyngate ist enthusiastisch, aber fett. Und ich? Kurz vorm Ruhestand. Dazu kommt noch ein einohriger Staffie mit Blähungen.«
»Die nicht ganz so
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