In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
der Rückeite der Lider und jenseits davon die unendliche Schönheit des dunklen Nichts. Und es herrschte Stille.
Sie atmete langsam und immer weiter aus, bis alle Luft entwichen war – aus, aus, aus … aus …
Sie spürte, wie sie kapitulierte.
Tränen rannen über ihr Gesicht.
Costello klopfte leise an die Tür mit der Aufschrift »Toilette – nur für Personal«. Man hatte ihr gesagt, dort mache Marita sich für den TV -Aufruf fertig. Als sie die Tür öffnete, sah sie einen Waschbeckenrand, der mit Make-up-Pinseln, Schwämmen, Lidschatten und Puder vollgestellt war. In der Luft hing der Duft von Parfüm und Haarspray.
Marita redete los, ohne auch nur aufzusehen. »Danke, dass Sie mir die Sachen bringen. Nach der Dusche und nun mit meinem professionellen Gesicht fühle ich mich schon viel besser und erst recht, wenn ich etwas Schönes zum Anziehen habe.« Marita strich nicht existierende Falten aus ihrem cremefarbenen Jackett, während sie über einen Haufen nasser Handtücher auf dem Boden stieg. »Ich habe mich lange mit Vik am Telefon unterhalten – er ist echt nett, nicht? –, und wir haben uns eine Art provisorisches Skript für den Aufruf überlegt. Vik sagt, ich muss alle überzeugen, die in der Nähe waren und Itsy möglicherweise gesehen haben. Das ist alles. An mehr muss ich nicht denken.«
Entweder waren keine Krankenschwestern im Haus, oder man hatte sie gewarnt, dass Marita hier war, und sie benutzten jetzt eine andere Toilette. Costello schaute wehmütig auf die Uhr an der Toilettenwand. Es war kurz nach halb sieben, und die Zeit zerrann ihr zwischen den Fingern. Sie hätte selbst gern geduscht und sich umgezogen, ehe sie mit Harry ins Barochan Moss fuhr, denn noch immer trug sie die Kleidung von gestern, und sie fühlte sich schmuddelig. Und Marita mit ihrer umwerfenden Figur, ihrer braunen Leinenhose, dem abgestimmten braunen Seidentop und dem cremefarbenen Jackett, das so perfekt zu ihrem Tizianhaar passte, machte alles nur noch schlimmer. Sie sah aus wie ein Tiramisu, dachte Costello gehässig. Genauso ungesund, aber nicht so süß.
»Wie sehe ich aus?«, fragte Marita mit dem Selbstbewusstsein von jemandem, der weiß, wie gut er aussieht.
»Viel besser, als ich es unter diesen Umständen würde.«
Marita Kennedy warf Costello einen Blick zu, der sagte, dass sie unter allen erdenklichen Umständen besser aussehen würde, antwortete jedoch: »Danke schön. Alle sind so nett und helfen mir.«
»Gibt es Veränderungen?«, erkundigte sich Costello.
»Veränderungen?«, fragte Marita zerstreut und überprüfte mit Hilfe des Puderspiegels und des großen Spiegels über dem Waschbecken, wie ihr Haar am Hinterkopf saß.
»Bei Itsy?«
»O nein, alles beim Alten. Ich glaube, sie können die Gehirnblutung nicht stoppen, und es bildet sich wohl ein Gerinnsel, das wie eine Schwellung den Druck erhöht. Der wird auf irgendeiner Skala gemessen, und anscheinend wird es immer schlimmer, nicht besser.« Sie klang ungeduldig, als habe ein unfähiger Klempner Schwierigkeiten, ein Leck abzudichten.
Aber schließlich, mahnte sich Costello, reagierten unterschiedliche Menschen unterschiedlich auf Trauer. Sie dachte wieder an Mulholland, der Marita am besten raten sollte, bei der Aufnahme wenigstens ein wenig erschüttert und aufgelöst auszusehen. Aufrufe waren viel erfolgreicher, wenn die Angehörigen vor Sorge außer sich waren und man ihnen den Kummer auch ansehen konnte. Bei Marita Kennedy war beides nicht zu erkennen.
»Werden Sie dabeisitzen, wenn ich die Aufnahme mache?«, fragte Marita beiläufig.
Einen Moment lang war Costello versucht, »ja, gewiss« zu antworten, aber dann erinnerte sie sich an Harry und den Ausflug zum Barochan Moss. Dies war ihre letzte Chance, kurz zu Hause vorbeizuschauen. »Tut mir leid, das geht leider nicht«, erwiderte sie. »Ich muss noch einmal ins Barochan Moss, um mich dort umzusehen.«
Die Antwort brachte Marita dazu, sich umzudrehen. »Sind Sie dort noch nicht fertig? Sie müssen doch längst alles gefunden haben, was es dort zu finden gibt, oder?«
»Noch nicht. Bislang haben wir keine Ahnung, wie sie dorthin gekommen ist und was ihre Verletzungen verursacht hat.«
» Wer ihre Verletzungen verursacht hat?«, berichtigte Marita sie.
Costello brummte unverbindlich. »Und der Zeitablauf ist unvollständig. Zwei Beamte unterhalten sich gerade in Strathearn mit Ihrer persönlichen Assistentin, mit McGurk und mit Ihrem Gärtner, Anthony Abbott.«
»Ich
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