In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
begann. Er war stehen geblieben. Sie blickte sich um. Die Gestalt stand hinter dem Sessel, die Hände auf der Lehne. Das konnte nicht der kleine Tony sein. Dieser Mann war jünger, kräftig gebaut, trug eine schmutzige Jacke und hatte aschblondes Haar. Er sah auf, direkt in ihre Richtung. Sie gab keinen Laut von sich, aber er musste wissen, dass sie hier war. Browne schrie aus Leibeskräften und rannte zur Tür – drei Schritte, zwei Schritte, einen Schritt …
Browne riss an der Klinke und hoffte, die Tür würde aufgehen.
Doch sie rührte sich nicht.
Browne trat zurück und zog erneut. Der Eindringling lief auf sie zu. Sie war eine leichte Beute, die in der Falle saß. Draußen sah sie eine Gestalt im Dunkeln, und sie schlug, so kräftig sie konnte, gegen das Glas. Das Geräusch wurde vom Nebel gedämpft.
Das Glas spiegelte. Sie sah, wie er hinter ihr näher kam, wie seine riesigen dreckigen Hände nach ihrem Hals griffen. Browne schloss die Augen.
Iain Kennedy hatte Costello schief angesehen, als sie gefragt hatte, ob sie nicht irgendwo schnell etwas trinken wollten. Jetzt saß sie auf der Treppe des Krankenhauses, die nur von jenen benutzt wurde, die es sich nicht leisten konnten, auf den Fahrstuhl zu warten. Es roch nach Curry und Zigaretten. Costello dachte darüber nach, was sie zu Harry sagen sollte. Ohne eigenen Wagen konnte sie nicht einmal hinausfahren, um sich später mit ihm zu treffen. Es war sieben Uhr, also zu spät, um noch etwas zu unternehmen, daher beschloss sie, hier herumzusitzen und sich schlecht zu fühlen.
Wie lange würde sie brauchen, um zu ihrer Wohnung zu gelangen? Mit dem Taxi hin, mit dem Taxi zurück? Nicht lange zu dieser Zeit des Abends. Sie musste sich die Schlüssel von den Nachbarn holen – das wäre kein Problem, die gingen nicht aus –, aber sie konnte sich nicht das Haar waschen und föhnen, nicht in der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung stand. Und bei diesem Wetter mit nassem Haar durch die Gegend zu laufen wäre Selbstmord. Sie wusste nicht, ob es so etwas wie eine dreifache Lungenentzündung gab, aber wenn, dann war dies genau das richtige Wetter dafür. Sie sah sich schon auf O’Hares kaltem Edelstahltisch liegen, wie er das Skalpell, bereit zum Schnitt, auf ihr Schlüsselbein drückte.
Sie fragte ihn: »Warum machen Sie das, ich bin doch nicht tot?«
Und er antwortete: »Natürlich sind Sie tot, Costello. Sie haben nur noch nicht aufgehört zu reden.«
Und dann erfolgte der erste Schnitt, den sie jedoch gar nicht spürte, und er sagte …
»Ein Penny für Ihre Gedanken?«
Sie fuhr auf und war wieder wach.
Harry Castiglia ließ sich auf der Stufe über ihr nieder und stupste sie verspielt mit dem Knie an. »Sie waren ja meilenweit weg.«
»Was machen Sie hier?« Sie sagte es in einem Ton, als stünde sie in der Schlange derjenigen, die auf eine Experimentaloperation für Hämorrhoiden warten.
»Die meisten Frauen freuen sich, wenn sie mich sehen.« Harry schraubte ein Objektiv an seine Kamera. »Ich begleite Marita, wenn sie den Aufruf filmt. Ehrlich, das Wort ›Drama‹ wurde eigens für diese Frau erfunden. Sie würde auch zur Eröffnung eines Schlachthofes gehen, wenn sie glaubte, dort würden ein paar gute Fotos von ihr geschossen. Sie hat ihr Leben damit verbracht, Menschen wie mich so zu manipulieren, dass wir sie attraktiver darstellen. Aber soweit es mich betrifft, sieht sie mit ihren krummen Zähnen eher aus wie ein Vampir.«
»Ja, ist mir auch schon aufgefallen. Gibt es deshalb keine Bilder von ihr, auf denen sie lacht?«
»Das würde ja voraussetzen, dass sie Humor hat. Sie kann ein verfluchter Albtraum sein.«
»Demnach kennen Sie sie?«
»O ja, ich habe mal ein Shooting mit ihr gemacht, kurz nachdem ich aus Nordafrika zurück war. Ich hatte ein paar Preise gewonnen und war gerade unglaublich ›in‹. Also habe ich sie in Schwarzweiß aufgenommen, hart und gefährlich.«
»Ist sie so?«
Harry nickte. »Die Kamera lügt nicht.«
Die Tür am Treppenabsatz ging auf, eine Krankenschwester sah nach unten, erkannte, wer dort saß, drehte sich wieder um und schloss die Tür. Das metallische Krachen hallte durch das kalte Treppenhaus.
Costello hakte nach. »Haben Sie Itsy auch fotografiert?«
»Nein, Itsy nicht, aber ich habe Bilder von ihr in Zeitschriften gesehen, von ihr und Marita zusammen. Interessant, wie ähnlich sie sich sind, finden Sie nicht? Das würde ich gern in einem Bild festhalten – zwei Frauen, die fast gleich aussehen,
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