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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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geliefert, der ihr schon vor zwei Jahren nur allzu vertraut war: »Nun, es kann nichts schaden.«
    »Nettie, ich bin ganz sicher, in ein paar Minuten...«
    »... werden Sie sich besser fühlen«, beendete Nettie den Satz. »Natürlich werden Sie das. Und die werden vielleicht helfen. Heben Sie die Hände hoch, Polly«
    Polly gab nach und hob die Hände hoch. Nettie hielt die Handschuhe an den Rändern und streifte sie ihr über mit dem Zartgefühl eines Bombenentschärfers, der eine Sprengdecke über Bündel von C4 legt. Ihre Hände waren sanft, geschickt und mitfühlend. Polly glaubte nicht, daß die Heizhandschuhe irgendetwas ausrichten würden – aber Netties Anteilnahme tat schon jetzt ihre Wirkung.
    Nettie ergriff den Stecker, ging auf die Knie und steckte ihn in die Steckdose an der Fußleiste neben dem Sessel. Die Handschuhe begannen leise zu summen, und die ersten Ranken trockener Wärme liebkosten die Haut von Pollys Händen.
    »Sie sind viel zu gut zu mir«, sagte Polly leise. »Wissen Sie das?«
    »Das ist gar nicht möglich«, erwiderte Nettie leise. Ihre Stimme war ein wenig rauh, und in ihren Augen lag ein feuchtes Schimmern. »Polly, es steht mir nicht zu, mich in Ihre Angelegenheiten einzumischen, aber ich kann einfach nicht mehr schweigen. Sie müssen etwas unternehmen wegen Ihrer armen Hände. Sie müssen einfach. So kann es nicht weitergehen.«
    »Ich weiß, Nettie. Ich weiß.« Polly unternahm eine gewaltige Anstrengung, um über die Mauer der Depression hinwegzusteigen, die sich in ihrem Denken aufgebaut hatte. »Weshalb sind Sie gekommen, Nettie? Doch sicher nicht, um meine Hände zu rösten.«
    Netties Gesicht hellte sich auf. »Ich habe Ihnen eine Lasagne gemacht.«
    »Wirklich? Oh, Nettie, das wäre wirklich nicht nötig gewesen.«
    »So? Der Meinung bin ich nicht. Ich glaube, daß Ihnen heute nicht nach Kochen zumute ist, und morgen vielleicht auch nicht. Ich stelle sie einfach in den Kühlschrank.«
    »Danke. Vielen Dank, Nettie.«
    »Ich bin froh, daß ich sie gemacht habe. Besonders jetzt, nachdem ich Sie sehe.« Sie erreichte die Tür zum Flur und schaute zurück. Ein Streifen Sonnenlicht fiel auf ihr Gesicht, und in diesem Augenblick hätte Polly sehen können, wie mitgenommen und erschöpft Nettie aussah, wenn ihre eigenen Schmerzen nicht so heftig gewesen wären. »Rühren Sie sich nicht von der Stelle!«
    Polly brach in Gelächter aus, das sie beide überraschte. »Ich kann nicht! Ich bin gefangen!«
    In der Küche wurde die Kühlschranktür geöffnet und geschlossen, als Nettie die Lasagne hineinstellte. Dann rief sie: »Soll ich Kaffeewasser aufsetzen? Möchten Sie eine Tasse? Ich könnte Ihnen helfen.«
    »Ja«, sagte Polly, »das wäre nett.« Die Handschuhe summten jetzt lauter; sie waren sehr warm. Und entweder halfen sie tatsächlich, oder die Tablette bewirkte etwas, das die um fünf Uhr nicht geschafft hatte. Wahrscheinlich kam beides zusammen, dachte sie. »Aber wenn Sie nach Hause müssen, Nettie...«
    Nettie erschien an der Schwelle. Sie hatte ihre Schürze aus der Speisekammer geholt und sie umgebunden, und in einer Hand hielt sie den alten blechernen Kaffeekessel. Sie weigerte sich, die neue, digitale Toshiba-Kaffeemaschine zu benutzen – und Polly mußte zugeben: was aus Netties Kessel kam, schmeckte besser.
    »Ich muß nirgendwohin, wo es besser ist als hier«, sagte sie. »Außerdem ist das Haus abgeschlossen, und Raider hält Wache.«
    »Natürlich«, sagte Polly lächelnd. Sie kannte Raider sehr gut. Er wog ganze zwanzig Pfund und legte sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen, wenn irgend jemand – Briefträger, Gasableser oder Vertreter – ins Haus kam.
    »Ich nehme ohnehin an, daß sie mich jetzt in Ruhe lassen wird«, sagte Nettie. »Ich habe sie gewarnt. Ich habe sie nicht in der Nähe gesehen oder von ihr gehört, also hat sie wohl endlich begriffen, daß ich es ernst gemeint habe.«
    »Wen gewarnt? Weswegen« frage Polly, aber Nettie hatte sich bereits wieder in die Küche zurückgezogen, und Polly war in der Tat durch ihre elektrischen Handschuhe an den Sessel gefesselt. Als Nettie mit dem Kaffeetablett zurückkehrte, hatte das Percodan angefangen, sie zu umnebeln, und sie hatte Netties seltsame Bemerkung vergessen – was nicht weiter verwunderlich war: Nettie machte oft seltsame Bemerkungen.
    Nettie tat Sahne und Zucker in Pollys Kaffee und hielt ihr die Tasse an den Mund, so daß sie trinken konnte. Sie unterhielten sich über dieses

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