In einer kleinen Stad
und jenes, und natürlich dauerte es nicht lange, bis das Gespräch auf den neuen Laden kam. Nettie erzählte ihr abermals vom Kauf des Buntglas-Lampenschirms, aber keineswegs so hingerissen und detailliert, wie Polly in Anbetracht des außerordentlichen Stellenwertes, den ein solches Ereignis in Netties Leben hatte, erwartet hatte. Aber es rief ihr etwas anderes in Erinnerung: den Brief, den Mr. Gaunt in den Tortenbehälter gelegt hatte.
»Das hätte ich beinahe vergessen – Mr. Gaunt hat mich eingeladen, heute nachmittag bei ihm hereinzuschauen. Er sagte, er hätte etwas, das mich interessieren könnte.«
»Aber Sie gehen doch nicht hin, nicht wahr? Bei dem Zustand, in dem Ihre Hände sind?«
»Vielleicht doch. Sie scheinen ein klein wenig besser zu sein – ich glaube, diesmal haben die Handschuhe gewirkt, zumindest ein bißchen. Und irgend etwas muß ich tun.«
»Nun – vielleicht haben Sie recht.« Plötzlich kam Nettie eine Idee. »Ich könnte auf dem Heimweg bei ihm vorbeigehen und ihn fragen, ob er zu Ihnen kommen will!«
»Oh, nein, Nettie – das wäre ein Umweg!«
»Nur ein oder zwei Blocks.« Nettie warf Polly einen liebenswert verschmitzten Seitenblick zu. »Außerdem hat er vielleicht noch irgendein Stück aus Buntglas. Ich habe nicht genug Geld, um mir noch eins zu leisten, aber er weiß das nicht, und Ansehen kostet schließlich nichts.«
»Aber ihn bitten, hierher zu kommen...«
»Ich werde ihm sagen, wie es mit Ihnen steht«, sagte Nettie entschlossen und begann, das Geschirr wieder auf das Tablett zu stellen. »Schließlich führen Geschäftsleute ihre Ware oft im Haus vor – das heißt, wenn sie etwas haben, wobei es sich lohnt.«
Polly schaute sie belustigt und liebevoll an. »Wissen Sie, Nettie, wenn Sie hier sind, sind Sie ganz anders.«
Nettie warf ihr einen verblüfften Blick zu. »Wirklich?«
»Ja.«
»Wie?«
»Auf eine gute Art. Aber lassen wir das. Wenn ich keinen Rückfall bekomme, werde ich heute nachmittag wohl Lust haben, auszugehen. Aber wenn Sie zufällig bei Needful
Things vorbeikommen...«
»Das werde ich tun.« Ein Ausdruck schlecht verhohlener Begierde erschien in Netties Augen. Jetzt, da ihr der Gedanke gekommen war, ergriff er mit der Gewalt einer Zwangshandlung von ihr Besitz. Das Sorgen für Polly war ein Tonikum für ihre Nerven gewesen.
»... und wenn er da sein sollte, dann geben Sie ihm meine Privatnummer und bitten Sie ihn, mich anzurufen, wenn der Gegenstand, den er mir zeigen wollte, eingetroffen ist. Könnten Sie das tun?«
»Natürlich kann ich das!« sagte Nettie. Sie nahm das Kaffeetablett und brachte es in die Küche, hängte ihre Schürze wieder an den Haken in der Speisekammer und kehrte ins Wohnzimmer zurück, um Polly von den Heizhandschuhen zu befreien. Ihren Mantel hatte sie bereits angezogen. Polly dankte ihr abermals – und nicht nur für die Lasagne. Ihre Hände schmerzten immer noch heftig, aber jetzt war der Schmerz halbwegs erträglich. Und sie konnte die Finger wieder bewegen.
»Es ist gern geschehen«, sagte Nettie. »Und wissen Sie was? Sie sehen wirklich besser aus. Sie bekommen allmählich wieder Farbe. Als ich hereinkam und Sie sah, bin ich ganz schön erschrocken. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, bevor ich gehe?«
»Nein, ich glaube nicht.« Sie ergriff ungeschickt eine von Netties Händen mit ihren eigenen, die noch immer gerötet und sehr warm waren von den Handschuhen. »Ich bin wirklich sehr froh, daß Sie gekommen sind.«
Wenn Nettie, was sehr selten vorkam, einmal lächelte, dann tat sie es mit dem ganzen Gesicht; es war, als erlebte man, wie an einem bedeckten Tag die Sonne durch die Wolken hervorbricht. »Ich liebe Sie, Polly.«
Gerührt erwiderte Polly: »Ich liebe Sie auch, Nettie.«
Nettie ging. Es war das letzte Mal, daß Polly sie lebend sah.
6
Das Schloß an Nettie Cobbs Haustür war ungefähr so kompliziert wie der Deckel einer Pralinenschachtel; der dritte Dietrich, den Hugh ausprobierte, tat nach ein bißchen Hinund Herbewegen sein Werk. Er öffnete die Tür.
Ein kleiner Hund, gelb mit einem weißen Brustlatz, saß auf dem Fußboden der Diele. Er stieß sein einmaliges, strenges Bellen aus, als das Licht der Morgensonne und dann Hughs großer Schatten auf ihn fielen.
»Du mußt Raider sein«, sagte Hugh leise und griff in die Tasche.
Der Hund bellte abermals und legte sich prompt mit schlaff gebreiteten Pfoten auf den Rücken.
»Fein machst du das!« sagte Hugh. Raiders Stummelschwanz
Weitere Kostenlose Bücher