Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
langsam, sondern sofort, und dann muß der Träger, wenn er das azka wieder umgehängt hat, tage- oder sogar wochenlang warten, bis er den verlorenen Boden zurückgewonnen hat.«
    Polly lachte ein wenig. Sie konnte nicht anders, und sie war erleichtert, als Mr. Gaunt in ihr Lachen einstimmte.
    »Ich weiß, wie sich das anhört«, sagte er, »aber ich möchte nur helfen, wenn ich kann. Glauben Sie das?«
    »Ja«, sagte sie, »und ich danke Ihnen.«
    Doch als sie zuließ, daß er sie aus dem Laden hinausbegleitete, stellte sie fest, daß sie sich noch über andere Dinge wunderte. Da war zum Beispiel der tranceähnliche Zustand, in dem sie sich befunden hatte, als er ihr die Kette um den Hals legte. Und dann ihr starker Abscheu vor jeder Berührung seiner Hände. Solche Dinge standen in einem seltsamen Widerspruch zu den Gefühlen von Freundschaft, Anteilnahme und Mitleid, die wie eine fast sichtbare Aura von ihm ausgingen.
    Aber hatte er sie irgendwie hypnotisiert? Das war ein törichter Gedanke – oder nicht? Sie versuchte sich genau daran zu erinnern, wie sie sich gefühlt hatte, als sie sich über das azka unterhielten, und konnte es nicht. Wenn er so etwas getan hatte, dann war es zweifellos unabsichtlich geschehen, und mit ihrer Hilfe. Wahrscheinlicher war, daß sie einfach in den Zustand der Benommenheit hineingeschlittert war, den zu viele Percodan gelegentlich mit sich brachten. Das war ihr an den Tabletten am meisten zuwider. Nein, das kam vermutlich erst an zweiter Stelle. Was sie an ihnen wirklich haßte, war der Umstand, daß sie neuerdings nicht immer so wirkten, wie sie eigentlich wirken sollten.
    »Wenn ich könnte, würde ich Sie nach Hause fahren«, sagte Mr. Gaunt, »aber ich habe leider nie fahren gelernt.«
    »Das macht nichts«, sagte Polly. »Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit.«
    »Danken Sie mir, wenn es funktioniert«, erwiderte er. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag, Polly.«
    Weiteres Sirenengeheul stieg empor. Es kam aus dem Osten der Stadt, aus der Gegend von Elm, Willow, Pond und Ford Street. Das Heulen hatte, zumal an einem so stillen Nachmittag, etwas an sich, das vage bedrohliche Bilder bevorstehenden Unheils heraufbeschwor. Das Geräusch begann zu ersterben, es entrollte sich in der klaren Herbstluft wie eine unsichtbare Uhrfeder.
    Sie drehte sich wieder um, um etwas darüber zu Mr. Gaunt zu sagen, aber die Tür war zu. Das Schild mit der Aufschrift
    GESCHLOSSEN
hing zwischen dem Glas und der heruntergezogenen Jalousie und schaukelte sanft an seiner Schnur. Er war in den Laden zurückgekehrt, während sie ihm den Rücken zuwendete, so leise, daß sie es nicht gehört hatte.
    Polly machte sich langsam auf den Heimweg. Noch bevor sie das Ende der Main Street erreicht hatte, jagte ein weiteres Polizeifahrzeug – diesmal ein Streifenwagen der Staatspolizei – an ihr vorbei.

19
     
    »Danforth?«
    Myrtle Keeton trat durch die Haustür und ins Wohnzimmer. Sie balancierte den Fonduetopf unter dem linken Arm, während sie versuchte, den Schlüssel herauszuziehen, den Danforth im Schloß hatte stecken lassen.
    »Danforth, ich bin wieder da!«
    Keine Antwort, und der Fernseher war nicht eingeschaltet. Das war merkwürdig; schließlich wollte er doch unbedingt bis zum Anpfiff zu Hause sein. Sie fragte sich kurz, ob er vielleicht irgendwo anders hingegangen sein könnte, vielleicht zu den Garsons hinauf, um das Spiel dort zu sehen, aber das Garagentor war zu, was bedeutete, daß der Wagen darinstand. Danforth tat keinen Schritt zu Fuß, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Zumal nicht den View hinauf, der steil war.
    »Danforth, bist du da?«
    Immer noch keine Antwort. Ein Stuhl im Wohnzimmer war umgestürzt. Stirnrunzelnd stellte sie den Fonduetopf ab und hob den Stuhl auf. Die ersten Fäden von Besorgnis, fein wie Spinnweben, trieben durch ihren Kopf. Sie ging auf die Tür des Arbeitszimmers zu, die geschlossen war. Als sie sie erreicht hatte, neigte sie den Kopf an das Holz und lauschte. Sie war ganz sicher, daß sie das leise Knarren seines Schreibtischsessels hören konnte.
    »Danforth? Bist du da drin?«
    Keine Antwort – aber ihr war, als hörte sie ein leises Husten. Aus der Besorgnis wurde Angst. Danforth hatte in letzter Zeit ziemlich unter Streß gestanden; er war von den Mitgliedern des Stadtrates der einzige, der wirklich schwer arbeitete. Und er wog mehr, als für ihn gut war. Was war, wenn er einen Herzinfarkt erlitten hatte? Was war, wenn er auf dem Boden

Weitere Kostenlose Bücher