Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
lag? Was war, wenn das Geräusch, das sie gehört hatte, kein Husten gewesen war, sondern der Versuch, Luft zu bekommen?
    Die schönen Stunden des Vormittags und des frühen Nachmittags, die sie miteinander verbracht hatten, ließen solche Gedanken auf gräßliche Art plausibel erscheinen. Sie streckte die Hand nach dem Türknauf aus – dann zog sie sie wieder zurück und zupfte nervös an der lockeren Haut unter ihrem Kinn. Es hatte nur einer weniger Gelegenheiten bedurft, um sie zu lehren, daß man Danforth nicht in seinem Arbeitszimmer störte, ohne anzuklopfen – und daß man niemals, niemals, niemals unaufgefordert sein Allerheiligstes betrat.
    ja, aber wenn er einen Herzinfarkt gehabt hat -oder -oder...
    Sie dachte an den umgestürzten Stuhl, und eine neue Angst durchflutete sie.
    Angenommen, er ist nach Hause gekommen und hatte einen Einbrecher überrascht? Was ist, wenn der Einbrecher ihm inen Einbrecher überrrascht?Was ist, wen der Eimbrecher iHn einen Schlag auf den Kopf versetzt und ihn dann in sein Arbeitszimmer geschleppt hat?
    Sie ließ die Knöchel leicht gegen die Tür schlagen. »Danforth? Ist alles in Ordnung?«
    Keine Antwort. Kein Geräusch im ganzen Haus außer dem strengen Ticken der Standuhr im Wohnraum und – ja, da war sie ganz sicher: dem Knarren des Stuhls in Danforth’ Zimmer.
    »Danforth, bist du...«
    Ihre Fingerspitzen berührten tatsächlich den Knauf, als die Stimme zu ihr herausbrüllte und sie veranlaßte, mit einem dünnen Aufschrei von der Tür zurückzuweichen.
    »Laß mich in Ruhe! Kannst du mich denn nicht in Ruhe lassen, du dämliche Kuh?«
    Sie stöhnte. Ihr Herz klopfte wie ein Schmiedehammer in ihrer Kehle. Es war nicht nur Verblüffung; es waren die Wut und der ungezügelte Haß in seiner Stimme. Nach dem ruhigen und angenehmen Vormittag, den sie miteinander verbracht hatten, hätte er sie selbst dann nicht mehr verletzen können, wenn er ihre Wangen mit einer Handvoll Rasierklingen gestreichelt hätte.
    »Danforth – ich dachte, du wärest verletzt...« Ihre Stimme war ein winziges Keuchen, das sie selbst kaum hören konnte.
    »Laß mich in Ruhe!« Jetzt schien er, dem Ton nach, direkt auf der anderen Seite der Tür zu stehen.
    Oh, mein Gott, es hört sich an, als wäre er verrückt geworden. Kann das sein? Wie ist das möglich? Was ist passiert, seit er mich bei Amanda abgesetzt hat?
    Aber auf diese Fragen gab es keine Antworten. Es gab nur Schmerz. Und so schlich sie ins Obergeschoß, holte ihre wunderhübsche neue Puppe aus dem Schrank im Nähzimmer, dann ging sie ins Schlafzimmer. Sie streifte die Schuhe ab und legte sich mit der Puppe in den Armen auf ihre Seite des Bettes.
    Irgendwo, weit fort, hörte sie das Heulen von Sirenen. Sie schenkte ihnen keinerlei Aufmerksamkeit.
    Ihr Schlafzimmer war herrlich um diese Tageszeit, erfüllt von hellem Oktober-Sonnenlicht. Myrtle sah es nicht. Sie sah nur Dunkelheit. Sie empfand nur Elend, ein tiefes, verzehrendes Elend, gegen das nicht einmal die prachtvolle Puppe etwas auszurichten vermochte. Das Elend schien ihre Kehle zu füllen und das Atmen unmöglich zu machen.
    Oh, sie war heute so glücklich gewesen – so unwahrscheinlich glücklich. Und er war auch glücklich gewesen. Und nun war alles schlimmer, als es vorher gewesen war. Viel schlimmer.
    Was war passiert?
    O Gott, was war passiert, und wer war schuld daran?
    Myrtle drückte die Puppe an sich und schaute zur Decke empor, und nach einer Weile begann sie mit großen, flachen Schluchzern zu weinen, die ihren ganzen Körper erbeben ließen.

Elftes Kapitel
     

1
     
    Eine Viertelstunde nach Mitternacht an diesem langen, langen Sonntag im Oktober öffnete sich eine Tür im Keller des State Wing des Kennebec Valley Hospital, und Sheriff Pangborn trat heraus. Er ging langsam und mit gesenktem Kopf. Seine Füße, mit Krankenhausschuhen aus Gummi bekleidet, schlurften auf dem Linoleum. Als die Tür zuschwang, konnte man lesen, was auf ihr stand:
    LEICHENHALLE ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN
    Am anderen Ende des Korridors führte ein Hausmeister in grauem Overall mit langsamen, trägen Bewegungen eine Bohnermaschine über den Fußboden. Alan ging auf ihn zu und nahm beim Gehen die Krankenhausmütze ab. Dann hob er den grünen Kittel an, den er trug, und stopfte die Mütze in eine der Gesäßtaschen der Jeans, die er darunter anhatte. Das leise Dröhnen der Bohnermaschine bewirkte, daß er sich schläfrig fühlte. Das Krankenhaus in Augusta war der letzte Ort auf

Weitere Kostenlose Bücher