In einer kleinen Stad
sprechen würde, wenn er da war – Polly hatte gesagt, Mr. Gaunt hätte sie eingeladen, sich am Nachmittag ein Objekt anzusehen, und Nettie wollte Mr. Gaunt mitteilen, daß Polly wahrscheinlich kommen würde, obwohl sie ziemlich heftige Schmerzen in ihren Händen hatte.
Wenn Nettie tatsächlich zu Needful Things gegangen war, wenn Nettie tatsächlich einige Zeit dort verbracht hatte – sich umgesehen, mit dem neuen Ladenbesitzer geredet, den jedermann in der Stadt für so faszinierend hielt und den Alan noch immer nicht kannte -, dann hätte das vielleicht ihr Fenster der Gelegenheit vernagelt und die Frage nach dem mysteriösen Steinewerfer von neuem gestellt. Aber sie hatte es nicht getan. Gaunt hatte sowohl Polly, die später wirklich zu ihm gegangen war, als auch den Kriminalbeamten mitgeteilt, daß er seit dem Tag, an dem sie ihren Lampenschirm bei ihm gekauft hatte, von Nettie weder Haut noch Haar gesehen hätte. Ohnehin hätte er den Vormittag in seinem Hinterzimmer verbracht, klassische Musik gehört und Ware katalogisiert. Wenn jemand geklopft hätte, hätte er es vermutlich gar nicht gehört. Also mußte Nettie geradewegs nach Hause gegangen sein. Und dann hatte sie genügend Zeit, all die Dinge zu tun, die Alan als so unwahrscheinlich empfand.
Wilma Jerzycks Fenster der Gelegenheit war sogar noch schmaler. Ihr Mann hatte eine kleine Tischlerwerkstatt im Keller; dort war er am Sonntagmorgen von acht bis kurz nach zehn gewesen. Er sagte, er hätte festgestellt, daß es spät wurde, und daraufhin hatte er seine Maschinen abgestellt und war hinaufgegangen, um sich zur Elf-Uhr-Messe umzuziehen. Wilma, teilte er den Beamten mit, war unter der Dusche gewesen, als er ins Schlafzimmer kam, und Alan hatte keinen Grund, die Aussage des frischgebackenen Witwers anzuzweifeln.
Es mußte so gewesen sein: Wilma verläßt das Haus um neun Uhr fünfunddreißig oder neun Uhr vierzig, um bei Nettie vorbeizufahren. Pete ist im Keller, baut Nistkästen oder sonst irgend etwas, und weiß nicht einmal, daß sie weggefahren ist. Wilma trifft ungefähr Viertel vor zehn bei Nettie ein – kaum eine Minute, nachdem Nettie zu Polly aufgebrochen ist – und sieht, daß die Tür offensteht. Für Wilma ist das so gut wie eine Einladung mit Goldrand. Sie parkt ihren Wagen, geht hinein, bringt, die günstige Gelegenheit nutzend, den Hund um, schreibt den Zettel und verschwindet dann wieder. Keiner der Nachbarn kann sich erinnern, Wilmas leuchtend gelben Yugo gesehen zu haben – lästig, aber kaum ein Beweis dafür, daß sie nicht da war. Die meisten Nachbarn waren ohnehin nicht zu Hause gewesen, entweder in der Kirche oder bei irgendwelchen Leuten außerhalb der Stadt.
Wilma fährt zu ihrem Haus zurück, geht nach oben, während Pete seinen Schwingschleifer oder seine Stichsäge oder was auch immer abstellt, und zieht sich aus. Als Pete ins Schlafzimmer kommt, um sich das Sägemehl von den Händen zu waschen, bevor er seinen dunklen Anzug anzieht und sich eine Krawatte umbindet, ist Wilma gerade unter die Dusche getreten; wahrscheinlich ist sie sogar noch nicht einmal naß.
Daß Pete Jerzyck seine Frau unter der Dusche antraf, war der einzige Faktor in der ganzen Geschichte, der Alan völlig einleuchtend erschien. Der Korkenzieher, mit dem der Hund umgebracht worden war, war eine tödliche Waffe, aber eine sehr kurze. Ihr mußte daran gelegen haben, etwaige Blutspritzer auf Händen und Armen so schnell wie möglich abzuwaschen.
Wilma verpaßt Nettie an einem Ende um Minuten und kommt ihrem Mann am anderen Ende um Minuten zuvor. War das möglich? Ja. Ziemlich unwahrscheinlich, aber möglich war es.
Also gib es auf, Alan. Gib es auf und schlaf.
Aber er konnte nicht schlafen, weil es immer noch an ihm nagte. Heftig nagte.
Alan drehte sich wieder auf den Rücken. Er hörte, wie die Uhr im Wohnzimmer unten leise vier schlug. Das brachte ihn nirgendwohin, aber er konnte seine Gedanken einfach nicht abschalten.
Er versuchte sich vorzustellen, wie Nettie geduldig an ihrem Küchentisch saß und immer wieder schrieb DIES IST DIE LETZTE WARNUNG, während keine sechs Meter entfernt ihr geliebter Hund tot dalag. So sehr er sich auch anstrengte – er brachte es nicht fertig. Was ausgesehen hatte wie eine Pforte, die in diesen Garten führte, kam ihm jetzt immer mehr vor wie das geschickte Gemälde einer Pforte in einer hohen, ununterbrochenen Mauer. Ein trompe l’œil.
Hatte sich Nettie tatsächlich zu Wilmas Haus in der Willow Street
Weitere Kostenlose Bücher