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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sean hatte zufällig gerade aus dem Fenster seines Zimmers geschaut und ihn gesehen. Brian hatte etwas in der Hand gehalten. Die Entfernung war zu groß gewesen, als daß Sean hätte sehen können, was es war – aber er brauchte es nicht zu sehen. Er wußte es. Es war die neue Baseballkarte, um derentwillen Brian immer wieder in sein Zimmer hinaufschlich. Brian wußte nicht, daß Sean über die Karte Bescheid wußte, aber Sean wußte Bescheid. Er wußte sogar, wer darauf war, weil er heute viel früher aus der Schule gekommen war als Brian und sich in Brians Zimmer geschlichen hatte, um sie sich anzusehen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb sie Brian so viel bedeutete – sie war alt, schmutzig, eselohrig und verblichen. Außerdem war der Spieler jemand, von dem Sean noch nie etwas gehört hatte – ein Werfer von den Los Angeles Dodgers namens Sammy Koberg, der einmal gewonnen und dreimal verloren und nicht einmal ein Jahr in der Oberliga gespielt hatte. Weshalb lag Brian so viel an einer derart wertlosen Karte?
    Sean wußte es nicht. Er wußte nur zweierlei: Brian lag sehr viel daran, und das Verhalten, das Brian seit ungefähr einer Woche an den Tag legte, machte ihm Angst. Ungefähr so wie in den Fernsehspots über Kinder, die Drogen nahmen. Aber Brian würde doch keine Drogen nehmen – oder doch?
    Irgend etwas in Brians Gesicht, als er in die Garage ging, hatte Sean so sehr geängstigt, daß er zu seiner Mutter gegangen war, um es ihr zu sagen. Er wußte nicht recht, was er ihr sagen sollte, aber wie sich herausstellte, spielte das auch keine Rolle, weil er überhaupt keine Gelegenheit bekam, etwas zu sagen. Sie lungerte im Schlafzimmer herum, trug ihren Bademantel und hatte diese blöde Sonnenbrille aus dem neuen Laden aufgesetzt.
    »Mom, Brian ist...« begann er, und weiter kam er nicht.
    »Verschwinde, Sean. Mommy ist beschäftigt.«
    »Aber Mom...«
    »Verschwinde, habe ich gesagt!«
    Und noch bevor er Gelegenheit hatte, diesem Befehl nachzukommen, wurde er kurzerhand aus dem Schlafzimmer hinausbefördert. Ihr Bademantel glitt auf, als sie ihn hinausschob, und bevor er den Blick abwenden konnte, sah er, daß sie nichts darunter anhatte, nicht einmal ein Nachthemd.
    Sie hatte die Tür hinter ihm zugeknallt. Und abgeschlossen.
    Jetzt stand er an der Schwelle zur Küche und wartete ängstlich darauf, daß Brian wieder aus der Garage herauskäme – aber Brian kam nicht.
    Sean ging zur Küchentür hinaus, überquerte den Hof und betrat die Garage.
    Drinnen war es dunkel und erstickend heiß, und die Luft roch nach Öl. Einen Augenblick lang konnte er seinen Bruder in den Schatten nicht sehen und glaubte, er müsse zur Hintertür hinaus und in den Garten gegangen sein. Dann hatten sich seine Augen angepaßt, und er stieß einen leisen, wimmernden Schrei aus.
    Brian saß an der Rückwand, neben dem Rasenmäher. Er hatte Daddys Gewehr. Der Kolben stand auf dem Fußboden. Die Mündung war auf sein eigenes Gesicht gerichtet. Brian stützte den Lauf mit einer Hand, die andere umkrampfte die schmutzige alte Baseballkarte, die im Lauf der letzten Woche so viel Macht über sein Leben gewonnen hatte.
    »Brian!« schrie Sean. »Was machst du da?«
    »Komm nicht näher, Sean, sonst bekommst du etwas von dem Schweinkram ab.«
    »Nicht, Brian!« schrie Sean und begann zu weinen. »Laß den Quatsch! Du – du machst mir Angst!«
    »Ich will, daß du mir etwas versprichst«, sagte Brian. Er hatte seine Socken und seine Turnschuhe ausgezogen, und jetzt schob er einen seiner großen Zehen in den Abzugsbügel der Remington.
    Sean spürte, wie der Schritt seiner Hose naß und warm wurde. Er hatte noch nie in seinem Leben soviel Angst gehabt. »Brian, bitte! Bitte!«
    »Ich will, daß du mir versprichst, nie in den neuen Laden zu gehen«, sagte Brian. »Hast du gehört?«
    Sean tat einen Schritt auf seinen Bruder zu. Brians Zeh spannte sich über dem Abzug des Gewehrs.
    » Nein!« schrie Sean und wich sofort wieder zurück. »Ja, meine ich! ja!«
    Brian ließ den Lauf ein wenig sinken, als er sah, wie sein Bruder zurückwich. Sein Zeh entspannte sich ein wenig. »Versprichst du mir das?«
    »Ja! Alles, was du willst. Nur tu das nicht. Mach – mach mir nicht mehr Angst, Bri! Laß uns hineingehen und The Transformers sehen. Nein – du entscheidest. Alles, was du willst. Sogar Wapner. Wir können Wapner sehen, wenn du das willst. Die ganze Woche! Den ganzen Monat! Ich sehe es mit dir! Nur hör auf, mir Angst zu machen,

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