In einer kleinen Stad
Einmischung, die Sie nicht überschreiten dürfen. Ich gebe Ihnen den Rat, den Dingen ihren Lauf zu lassen.«
»Als Jesus-äh die Huren und die Geldwechsler im-äh empel sah, hat er nicht in einer geschriebenen Gesetzessammlung nachgeschlagen, Sheriff. Als Jesus sah, wie diese schlechten Männer und Frauen das Haus des Herrn schändeten, kümmerte er sich nicht um Grenzen der Einmischung. Unser Herr tat das, was er für rechtens hielt! «
»Ja«, sagte Alan ruhig, »aber Sie sind nicht Er.«
Rose musterte ihn lange und eindringlich. Seine Augen funkelten wie Gasflammen, und Alan dachte: Großer Gott, dieser Mann ist völlig übergeschnappt.
»Guten Tag, Chief Pangborn.«
Diesmal machte Alan sich nicht die Mühe, ihn zu korrigieren. Er nickte nur und streckte die Hand aus, obwohl er genau wußte, daß sie nicht ergriffen werden würde. Rose machte kehrt und stapfte zur Tür, die Bibel noch immer vor der Brust.
»Lassen Sie diese Sache durchgehen, Reverend Rose, okay?« rief Alan ihm nach.
Rose drehte sich weder um, noch erwiderte er etwas. Er marschierte durch die Tür und knallte sie hinter sich so heftig zu, daß das Glas im Rahmen klirrte. Alan ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder und drückte die Handflächen gegen die Schläfen.
Kurz darauf steckte Sheila Brigham schüchtern den Kopf zur Tür herein. »Alan?«
»Ist er fort?« fragte Alan, ohne aufzuschauen.
»Der Prediger? Ja. Er ist abgebraust wie ein Märzwind.«
»Elvis hat das Gebäude verlassen«, sagte Alan hohl.
»Wie bitte?«
»Schon gut.« Er schaute auf. »Ich hätte gern eine von diesen harten Drogen. Würden Sie bitte im Asservatenschrank nachsehen, Sheila, was drin ist?«
Sie lächelte. »Habe ich schon getan. Der Schrank ist leider leer. Täte es eine Tasse Kaffee auch?«
Er erwiderte das Lächeln. Der Nachmittag mußte besser werden als der Vormittag – er mußte es einfach. »Gekauft.«
»Gutes Geschäft.« Sie machte die Tür zu, und Alan konnte endlich seine Hände aus ihrem Gefängnis entlassen. Bald flog eine Folge von Amseln durch einen durch das Fenster auf die Wand fallenden Streifen Sonnenlicht.
7
Donnerstags war an der Middle School von Castle Rock die letzte Stunde für Arbeitsgemeinschaften reserviert. Da Brian Rusk ein Vorzugsschüler war und nicht an Arbeitsgemeinschaften teilzunehmen brauchte, bis die Inszenierung des Winterstückes besetzt wurde, durfte er an diesem Tag früher gehen – ein angenehmer Ausgleich für die Spätstunde an den Dienstagen.
An diesem Donnerstagnachmittag hatte er die Schule schon durch die Seitentür verlassen, noch bevor die Glocke zur sechsten Stunde richtig aufgehört hatte zu läuten. Sein Ranzen enthielt nicht nur seine Bücher, sondern auch den Regenmantel, den er am Morgen hatte anziehen müssen und der jetzt den Ranzen aufblähte.
Er fuhr schnell, und sein Herz klopfte heftig. Er hatte etwas
( eine Tat )
zu tun. Ein kleiner Auftrag, den er erledigen mußte. Sogar ein recht amüsanter Auftrag. Jetzt wußte er, worin er bestand. Er hatte es ganz deutlich erfahren, als er während der Mathematikstunde seinen Tagträumen nachhing.
Als Brian auf der School Street den Castle Hill hinabfuhr, erschien die Sonne zum ersten Mal an diesem Tag zwischen den zerfetzten Wolken. Er schaute nach links und sah, wie ein Schattenjunge auf einem Schattenfahrrad auf dem nassen Gehsteig mit ihm Schritt hielt.
Wenn du heute nicht hinter mir zurückbleiben willst, mußt du dich dranhalten, Schattenjunge, dachte er. Ich habe einiges zu erledigen.
Brian radelte durch das Geschäftsviertel, ohne über die Main Street hinweg einen Blick auf Needful Things zu werfen; nur an der Kreuzung hielt er kurz an, um flüchtig in beide Richtungen zu schauen, bevor er weiterfuhr. Als er an der Kreuzung von Pond Street (in der er wohnte) und Ford Street angekommen war, bog er, anstatt auf der Pond Street bis zu seinem Haus weiterzufahren, nach rechts ab. An der Kreuzung von Ford und Willow Street bog er nach links ab. Die Willow Street verlief parallel zur Pond Street; die Hinterhöfe der Häuser an diesen beiden Straßen stießen aneinander, in den meisten Fällen durch Lattenzäune voneinander getrennt.
Pete und Wilma Jerzyck wohnten in der Willow Street.
Hier mußt du ein bißchen vorsichtig sein.
Aber er wußte, wie vorsichtig er sein mußte; er hatte es sich auf der Fahrt von der Schule hierher genau überlegt, und es war ganz einfach gewesen, fast so, als wäre es schon immer
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