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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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verschachtelten Gedankengang schon fortsetzte. »Viele Erwachsene
erhoffen sich, Billy, dass du etwas zum Ausdruck bringst, was du bislang noch
nicht zum Ausdruck gebracht hast.«
    »Dass ich was zum Ausdruck bringe?«
    »Reue«, sagte Martha Hadley.
    »Reue«, wiederholte ich und sah ihr in die Augen, bis sie
wegschaute.
    »Dieses ständige Wiederholen nervt, Billy«, sagte Martha Hadley.
    »Ja, nicht wahr?«, fragte ich.
    »Tut mir leid, dass sie dich zu Dr. Harlow schicken«, versicherte
sie mir.
    »Glauben Sie, Dr. Harlow setzt auf meine Reue ?«,
fragte ich Mrs. Hadley.
    »Das nehme ich stark an, Billy«, antwortete sie.
    »Danke für die Information«, erwiderte ich.
    Ich traf Atkins im Treppenhaus des Musikgebäudes. »Es ist so was von
tragisch«, fing er an. »Letzte Nacht, als ich drüber nachdachte, musste ich
mich übergeben.«
    »Als du worüber nachgedacht hast?«,
erkundigte ich mich.
    »Giovannis Zimmer!«, rief er; wir hatten
schon über den Roman gesprochen, aber der arme Tom war wohl [368]  noch nicht damit
fertig. »Die Stelle über den Geruch der Liebe –«
    »Den Gestank der Liebe«, korrigierte ich
ihn.
    »Der Mief davon«, sagte Atkins und würgte.
    »Es heißt Gestank, Tom.«
    »Der üble Geruch «, sagte Tom und erbrach sich
auf die Stufen.
    »Meine Güte –«
    »Und diese grässliche Frau mit der monströsen Möse!«, rief Atkins.
    »Die was ?«, fragte ich nach.
    »Die schreckliche Freundin – du weißt, wen ich meine, Bill.«
    »Darum geht’s ja wohl gerade, Tom – dass eine, die ihn mal angezogen
hat, ihn jetzt abstößt«, sagte ich.
    »Sie riechen nach Fisch, weißt du«, verriet Atkins mir.
    »Meinst du Frauen?«, fragte ich.
    Er würgte wieder, riss sich dann aber zusammen. »Ich meine ihre Teile «, sagte Atkins.
    »Ihre Vaginas, Tom?«
    »Nicht sagen!«, rief der arme Tom und würgte.
    »Ich muss weiter, Tom«, sagte ich. »Mich auf ein Schwätzchen mit Dr.
Harlow vorbereiten.«
    »Red mit Kittredge, Bill. Von dem verlangen sie dauernd, dass er
sich mit Dr. Harlow unterhält. Kittredge weiß, wie man mit Dr. Harlow umgeht«,
verriet mir Atkins. Das glaubte ich gern; ich mochte nur nicht mit Kittredge
reden, egal, worüber.
    Aber natürlich hatte Kittredge von der Sache mit Miss Frost gehört.
Nichts Sexuelles entging ihm. Wenn man als [369]  Schüler an der Favorite River
eine Strafe bekam, kannte Kittredge nicht nur das Vergehen; er wusste auch, wer
einen erwischt hatte und welche Strafen man genau aufgebrummt bekommen hatte.
    Mir war nicht nur die Stadtbücherei verboten worden, sondern auch
jedes Treffen mit Miss Frost – nicht dass ich gewusst hätte, wo sie zu finden
war. Oder wo ihr Elternhaus stand, das sie mit ihrer gebrechlichen Mutter
bewohnt hatte. Außerdem stand das Haus zum Verkauf; meines Wissens waren Miss
Frost (und ihre Mutter) schon ausgezogen.
    Meine Hausaufgaben, und was ich an Texten zustande brachte,
erledigte ich im Jahrbuchraum der Academy-Bibliothek. Es war immer kurz vor
Bettruhe, wenn ich möglichst rasch das Kippenzimmer von Bancroft Hall
durchquerte, wo mein Anblick offenbar Raucher wie Nichtraucher gleichermaßen
außerordentlich erschreckte. Mein Ruf als Sexmonster muss sie wohl verstört
haben; egal, in welche praktische Schublade sie mich zuvor gesteckt hatten, der
war ich nun wohl entwachsen.
    Wenn diese Jungs mich bis dahin als jämmerliche Schwuchtel abgetan hatten,
was sollten sie von meiner offensichtlichen Freundschaft mit Kittredge halten?
Und noch dazu von dieser Geschichte mit der transsexuellen Stadtbibliothekarin?
Na schön, die war also eine Transe; sie war keine richtige Frau, gab sich aber als eine aus. Der eigentliche
Punkt war aber, dass mich nun eine gewisse geheimnisvolle Aura umgab – wenn
auch nur in den Augen der Jungs im Kippenzimmer. Vergessen Sie nicht: Miss
Frost war eine ältere Frau, und unter Jungen will das was heißen – selbst wenn
diese ältere Frau einen Penis hat!
    [370]  Und noch etwas anderes darf man nicht vergessen: Gerüchte
interessieren sich nicht für Unspektakuläres, und sie scheren sich nicht um die
Wahrheit. In Wirklichkeit hatte ich nichts von dem erlebt, was die meisten
Menschen Sex nennen – es war zu keiner Penetration gekommen! Aber das wussten
die Jungs nicht oder wollten es nicht wissen. In der Vorstellung meiner
Mitschüler an der Favorite River Academy hatten Miss Frost und ich alles getan.
    Ich war gerade die Treppe zum ersten Stock von Bancroft
hochgegangen, als Kittredge

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