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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gemacht hast, was man damit so anstellen kann –
stimmt’s, Nymphe?«
    Etwas in seiner Stimme hatte sich so verändert, dass es mir Angst
machte. »Ehrlich gesagt, war ich in dem Augenblick so hin und weg, dass ich
mich an keine Einzelheiten mehr erinnern kann«, sagte ich.
    »Ach, wirklich ?«, fragte Kittredge leise,
aber desinteressiert. Es war, als wäre ihm jedes nur erdenkliche Sexabenteuer
schon geläufig und würde ihn langweilen. Urplötzlich schien Kittredge
überrascht, dass er mich trug – oder vielleicht angewidert. Abrupt setzte er
mich ab. »Du weißt schon, Nymphe, sie werden dich zu Harlow schicken – das
weißt du doch, oder?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich. »Ich wollte, ich wüsste, was ich ihm sagen soll.«
    »Gut, dass du mich fragst«, sagte Kittredge. »Pass auf, so geht man
mit Harlow um«, fing er an. Seine Stimme klang seltsam beschwichtigend und
unbeteiligt zugleich. Als Kittredge mich beriet, hatte ich das Gefühl, dass
sich unsere Rollen verkehrt hatten. Ich war der Goethe- und Rilke-Experte
gewesen, der ihm über die Hürden hinweggeholfen hatte. Und jetzt half Kittredge
mir aus der Klemme.
    Wenn man an der Favorite River Academy eine Riesendummheit begangen
hatte, wurde man von Dr. Harlow ins Gebet genommen; Kittredge, der sich (wie
ich annahm) mit Riesendummheiten bestens auskannte, war Experte im Umgang mit
Dr. Harlow.
    Ich hörte mir Kittredges Ratschläge ganz genau an; hing (wie man so
sagt) an seinen Lippen. Stellenweise war es schmerzhaft, weil er darauf
bestand, mir seinen Fehltritt [374]  mit Elaine bis in alle Einzelheiten zu
schildern. »Verzeih gerade dieses Beispiel, Nymphe, nur damit du weißt, wie
Harlow so tickt«, sagte Kittredge dann, ehe er sich über seinen zeitweiligen
Hörverlust ausließ – infolge der Lautstärke von Elaine
Hadleys Orgasmen.
    »Harlow will vor allem von dir hören, wie leid es dir tut, Nymphe. Er erwartet Reue von dir.
Stattdessen musst du ihn am laufenden Band reizen. Er wird versuchen, dir Schuldgefühle einzureden«, verriet mir Kittredge. »Kauf ihm
den Humbug bloß nicht ab – stell dir einfach vor, du würdest ihm einen
pornographischen Roman erzählen.«
    »Verstehe«, sagte ich. »Keine Reue, richtig?«
    »Keine Reue, Nymphe – ganz genau. Obwohl«, sagte Kittredge mit
dieser gruselig veränderten Stimme, die mir Angst machte. »Obwohl, Nymphe – was
du getan hast, find ich widerlich. Aber ich
gratuliere dir, dass du den Mut dazu hattest, und du hast absolut ein Recht drauf!«
    Dann, so urplötzlich, wie er mich im Treppenhaus hochgehoben hatte,
war er weg – er rannte davon und verschwand durch den Flur im zweiten Stock,
während diese Knaben in ihren Türöffnungen ihm alle hinterhergafften. Es war
ein klassischer Kittredge. Selbst wenn man sich bei ihm vorsah, konnte man nie
genug auf der Hut sein; nur Kittredge wusste, worauf das Gespräch zusteuerte.
Bei ihm hatte ich oft das Gefühl, dass er das Ende unserer Unterredungen schon
kannte, bevor er anfing.
    In dem Moment ging die Tür unserer Lehrerwohnung auf; Richard Abbott
und meine Mutter standen beide so da, als hätten sie schon eine ganze Weile auf
der anderen Seite der Tür gestanden.
    [375]  »Wir haben Stimmen gehört, Bill«, sagte Richard.
    »Ich hab die Stimme von Kittredge gehört – die würde ich überall
heraushören«, sagte meine Mutter.
    Ich schaute mich gründlich in dem plötzlich leeren Flur um.
    »Dann kannst du wirklich Stimmen hören«, sagte ich zu meiner Mutter.
    »Ich hab Kittredges Stimme auch gehört, Bill – er klang ziemlich aufgeregt «, sagte Richard.
    »Ihr gehört beide zum Ohrenarzt – macht doch einen Hörtest oder so
was«, riet ich ihnen, ehe ich an ihnen vorbei ins Wohnzimmer ging.
    »Ich weiß, dass du morgen einen Termin bei Dr. Harlow hast, Bill«,
sagte Richard. »Vielleicht sollten wir darüber reden.«
    »Ich weiß genau, was ich Dr. Harlow erzählen werde, Richard – ich
kann mich sogar noch ziemlich genau an alle Einzelheiten erinnern«, versicherte
ich ihm.
    »Pass bitte auf, was du Dr. Harlow erzählst, Billy!«, rief meine
Mutter.
    »Worauf soll ich aufpassen?«, fragte ich sie. »Ich hab nichts zu
verbergen – nicht mehr.«
    »Immer mit der Ruhe, Bill –«, setzte Richard an, aber ich ließ ihn
nicht ausreden.
    »Kittredge haben sie nicht rausgeschmissen, obwohl er Sex hatte,
oder?«, fragte ich Richard. »Habt ihr Angst, sie schmeißen mich dafür raus,
dass ich keinen Sex hatte?«, fragte ich meine

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