In einer Person
Da sie immer
an vielen Projekten gleichzeitig arbeitete, nahm ich an, sie hätte ein Problem
mit einem ihrer Drehbücher. Aber da gestand sie mir, einer ihrer Studiobosse
habe sie wegen meines ersten Romans »genervt«.
Über diesen Typen – »Mr. Sharpie« nannte sie ihn manchmal oder, in
letzter Zeit, »Mr. Pastell« – zog sie regelmäßig und prinzipiell her. Ich
stellte mir einen geschniegelten Typen in Golfkleidung vor, jedenfalls
hellgekleidet. (Stil lindgrüne Hose, rosa Poloshirt – pastell farben
halt.)
Alice sagte, Mr. Pastell habe sie gefragt, ob ich mich »einmischen«
würde – falls mein Roman je verfilmt werden sollte.
Mr. Sharpie musste also gewusst haben, dass sie mit mir zusammenwohnte; er
hatte sie auch gefragt, ob ich in puncto Änderungen am Plot mit mir reden
ließe.
»Bestimmt nur im bei Romanverfilmungen üblichen Rahmen«, meinte
Alice vage. »Der Typ hat halt einfach Fragen am laufenden Band.«
»Was denn für welche?«, fragte ich.
»Wo kommt der Teil mit dem Dienst am Vaterland in die Story?«, hatte
der pastellfarben gekleidete Studioboss Alice gefragt. Diese Frage machte mich
ein wenig stutzig; ich dachte, ich hätte einen Anti-Vietnamkriegs-Roman
geschrieben.
[485] Doch nach Meinung des Studiobosses gab der Held nicht an, dass er
schwul war, weil er sich verpflichtet fühlte, seinem Land zu dienen; nicht dass
er sich vor einem Coming out drücken wollte – da riskierte er lieber, in einem
ungerechten Krieg zu fallen!
Nach Meinung des Studiobosses gab »unsere Figur mit der Stimme aus
dem Off« (er meinte meinen Ich-Erzähler) seine homosexuellen Neigungen zu, weil
er ein Feigling war; der Boss sagte sogar: »Wir müssen es so aussehen lassen,
dass er simuliert.« Die Idee mit dem Simulieren war Mr. Sharpies Ersatz für meine Romanidee, dass mein Ich-Erzähler sich mutig verhält,
indem er zu seiner Homosexualität steht!
»Wer ist dieser Kerl überhaupt – was
bildet er sich ein?«, fragte ich Alice. Niemand hatte mir ein Angebot für die
Filmrechte an meinem Roman gemacht; die gehörten immer noch mir. »Klingt ganz
so, als säße da jemand an einem Drehbuch«, sagte ich.
Alice stand mit dem Rücken zu mir. »Es gibt kein Drehbuch«,
nuschelte sie. »Dieser Typ hat einfach eine Menge Fragen, wie man mit dir so klarkommt «, sagte sie.
»Ich kenne den Typen nicht«, sagte ich ihr. »Wie kommt man denn mit ihm so ›klar‹, Alice?«
»Ich wollte dir bloß ein Treffen mit diesem Typen ersparen, Bill«,
war alles, was sie erwiderte. Wir wohnten in Santa Monica; sie saß im Auto
immer am Steuer, ersparte mir also auch die Fahrerei. Ich blieb einfach in der
Wohnung und schrieb. Ich konnte zur Ocean Avenue spazieren und mir die
Obdachlosen angucken und ich konnte am Strand entlanglaufen.
[486] Was hatte Herm Hoyt mir über den Durchschlüpfer gesagt? »Du
machst ihn und läufst sofort weg – du kannst doch laufen, oder?«, hatte der
alte Trainer gesagt.
1969 begann ich in Santa Monica mit dem Laufen. Kurz vor meinem 27.
Geburtstag schrieb ich schon an meinem zweiten Roman. Es war acht Jahre her,
dass Miss Frost und Herm Hoyt mir gezeigt hatten, wie man einen Durchschlüpfer
anbringt; wahrscheinlich war ich ein wenig eingerostet. Das mit dem Laufen
schien mir plötzlich eine gute Idee zu sein.
Alice fuhr mich zu dem Meeting. Vier oder fünf Studiobosse saßen um
einen ovalen Tisch in einem vollverglasten Gebäude in Beverly Hills, alle
geblendet von dem durch die Fensterfront flutenden Sonnenlicht, aber Mr.
Sharpie war der Einzige, der redete.
»Das ist William Abbott, der Romanautor«, stellte er mich seinen
Kollegen vor; wahrscheinlich war ich nur übertrieben empfindlich, aber mir kam
es so vor, als zuckten die anderen Bosse bei dem Wort Romanautor peinlich berührt zusammen. Zu meiner Überraschung war Mr. Sharpie ausgesprochen
nachlässig gekleidet. Das Wort »Sharpie« bezog sich nicht auf seinen flotten
oder eleganten Kleidungsstil, sondern auf die Marke des wasserfesten Stifts,
mit dem er spielte. Diese Permanentmarker kann ich nicht leiden. Mit denen kann
man nicht richtig schreiben – sie drücken sich durchs Papier, dass es eine
Schweinerei ist. Damit kann man höchstens kurze Anmerkungen auf die breiten
Ränder von Drehbüchern kritzeln – einfache Bemerkungen wie »Alles Scheiße!«
oder »Raus damit!«.
Aber woher der »Mr.-Pastell«-Spitzname kam, war nicht [487] so ohne
weiteres zu erkennen. Der Typ lief unrasiert und schlampig und ganz in
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