In einer Person
aber es ging viel
herzlicher zu, als ich erwartet hatte. Damals lebte ich allein; ich hatte ein
paar Bettgefährten in Manhattan – hauptsächlich Männer meines Alters – und war
sehr von einer jungen Romanautorin angetan, die an der Columbia University
Kreatives Schreiben unterrichtete. Rachel war nur wenige Jahre jünger als ich,
Anfang dreißig. Sie hatte zwei Romane veröffentlicht und arbeitete [493] an einem
Kurzgeschichtenband; sie hatte mich eingeladen, einen ihrer Schreib-Workshops
zu besuchen, weil sie mit ihren Studenten einen Roman von mir durchnahm. Seit
ein paar Monaten schliefen wir miteinander, aber von Zusammenziehen war nicht
die Rede. Rachel wohnte in der Upper West Side, ich in der Third Avenue, Ecke
East 64th. Die Vorstellung, den Central Park zwischen uns zu haben, gefiel uns
beiden. Rachel war gerade einer langen Klammerbeziehung mit jemandem entronnen,
den sie »seriell monogam« nannte, und ich hatte meine Bettgefährten.
Ich hatte Elaine auf Larrys Geburtstagsfeier mitgenommen. Larry und
Elaine mochten sich sehr; ehrlich gesagt, bis zu meinem dritten Roman, den
Larry so überschwenglich lobte, hatte ich das Gefühl, Larry gefielen Elaines
Bücher besser als meine. Das machte mir nichts aus; mir ging es genauso, obwohl
Elaine beim Schreiben nur langsam und mühsam vorankam. Sie hatte erst einen
Roman und einen schmalen Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht, schrieb aber
fleißig und unermüdlich.
Wie kalt es in New York an jenem Abend war, habe ich deshalb
erwähnt, weil Elaine lieber bei mir in der East 64th Street übernachten wollte,
statt bis runter nach SoHo in die Spring Street zurückzufahren, wo sie als Untermieterin
im Loft eines befreundeten Künstlers wohnte, wo es eiskalt war. Außerdem
erinnert mich das daran, wie kalt es in dieser Februarnacht in Vermont gewesen
sein muss.
Ich machte mich gerade im Bad bettfertig, als das Telefon klingelte;
wie gesagt, Larrys Party hatte nicht bis in die [494] Puppen gedauert, aber auch
um diese Uhrzeit rechnete ich schon nicht mehr mit einem Anruf, nicht einmal an
einem Samstagabend.
»Gehst du bitte ran?«, rief ich Elaine zu.
»Und wenn es Rachel ist?«, rief Elaine zurück.
»Rachel kennt dich – sie weiß, dass zwischen uns nichts läuft, Elaine!«
»Also wenn es Rachel ist, wird’s unangenehm, das kannst du glauben«,
sagte Elaine und ging ran. »Hallo – hier ist Billys alte Freundin Elaine«,
hörte ich sie sagen. »Wir haben keinen Sex miteinander; es ist nur zu kalt, um
mir die Nacht downtown allein um die Ohren zu schlagen.«
Ich spülte mir die Zahnpasta aus dem Mund; als ich aus dem Bad kam,
schwieg Elaine. Entweder der Anrufer hatte aufgelegt, oder wer immer am anderen
Ende der Leitung war, quatschte ihr ein Ohr ab – vielleicht war es ja doch Rachel, und ich hätte Elaine gar nicht ans Telefon
lassen sollen, dachte ich.
Dann sah ich Elaine im Bett; sie hatte sich ein sauberes T-Shirt von
mir als Schlafanzug genommen, lag schon unter der Decke, drückte das Telefon
ans Ohr, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ja, ich sag’s ihm, Mom«,
hörte ich.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was für Umstände Mrs. Hadley
bewogen hatten, mich anzurufen; ich hielt es für unwahrscheinlich, dass sie überhaupt
meine Telefonnummer hatte. Vielleicht dachte ich auch deshalb gleich an etwas
Schlimmes, weil Larry einen runden Geburtstag gefeiert hatte, für ihn ein
einschneidendes Ereignis.
Wer war gestorben? Im Geiste überschlug ich die [495] wahrscheinlichsten
Kandidaten. Nicht Nana Victoria; die war schon tot. Sie hatte sich mit Mitte
siebzig »verkrümelt«, wie Grandpa Harry mir gesagt hatte – es klang ein wenig
neidisch. Was er mit vierundachtzig vielleicht tatsächlich war. Die Abende
verbrachte er am liebsten allein in seinem Haus an der River Street – fast
immer in der Kleidung seiner verstorbenen Frau.
Harry hatte sich noch nicht in die Demenz »verkrümelt«, wegen der
Richard und ich den alten Holzfäller (in nicht allzu ferner Zukunft) in die
Einrichtung für betreutes Wohnen brachten, die er selbst und Nils Borkman der
Stadt gestiftet hatten. Ich weiß, die Geschichte habe ich schon erzählt – wie
sich die anderen Bewohner der »Einrichtung« (wie die Senioren von First Sister
das Heim ehrfürchtig nannten) über Grandpa Harry beschwert hatten, weil er sie
im Fummel »überraschte«. Damals hatte ich mir gedacht: Wer konnte nach Harrys
ersten paar Bühnenauftritten im Fummel davon noch
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