In einer Person
noch nicht abgewöhnt.
Für mich war das Ärgerlichste an der Sache mit Alice und dem
Drecksfilmgeschäft, dass ich im Juni 1969 während [490] der Polizeirazzia im
Stonewall Inn, einer Schwulenkneipe in der New Yorker Christopher Street, in
Los Angeles wohnte. Also habe ich den Stonewall-Aufstand verpasst! Ja, ich
weiß, anfangs haben sich da bloß Straßenjungen und Transen gewehrt, aber die Protestkundgebung
am Sheridan Square am Abend nach der Razzia brachte einen Stein ins Rollen. Ich
war kreuzunglücklich, dass ich in Santa Monica hockte, immer noch am Strand
entlanglief und auf Larry als Berichterstatter über die Ereignisse in New York
angewiesen war. Larry war zwar nie mit mir im Stonewall gewesen – kein einziges Mal –, und ich wage auch zu bezweifeln, dass er in
jener Juninacht, als ein paar Schwule sich der inzwischen berüchtigten Razzia
widersetzten, unter den Kneipengästen war. Aber wenn man Larry reden hörte,
konnte man meinen, er hätte als erster Schwuler die Greenwich Avenue und
Christopher Street nach schnellem Sex abgeklappert und zu den Stammgästen im
Stonewall gehört – ja, als wäre er sogar mit den tretenden, um sich schlagenden
Transen ins Gefängnis abtransportiert worden, während er in Wirklichkeit (wie
ich später erst erfuhr) mit seinen »Freunden der Künste« in den Hamptons war
oder mit diesem Dichterjüngling von der Wall Street (er hieß Russell), mit dem
er was hatte, auf Fire Island.
Erst als ich nach New York zurückkehrte, gab meine liebste Freundin
Elaine mir gegenüber zu, dass Alice ihr bei ihrem einzigen Besuch in Santa
Monica Avancen gemacht hatte.
»Warum hast du mir das nicht gesagt ?«,
fragte ich Elaine.
Worauf Elaine sofort, genau wie früher ihre Mutter ihre belehrenden
Worte an mich einzuleiten pflegte, ein strenges [491] »Billy, Billy!« hören ließ
und dann: »Hast du nicht gewusst, dass unsichere Partner immer versuchen, deine Freunde in Misskredit zu bringen?«
Natürlich wusste ich das, oder hätte es
wissen müssen. Ich hatte es bei Larry erlebt – und erst recht bei Tom Atkins.
Im selben Jahr hörte ich wieder vom armen Tom. Auf dem Familienfoto
der Atkins’ war an Weihnachten 1969 nun auch noch ein Hund zu sehen (ein
Labrador); damals kamen mir Toms Kinder noch nicht schulreif vor, aber seit der
Trennung von Alice achtete ich kaum noch auf Kinder. Außer der Karte steckte
noch etwas im Umschlag; zuerst hielt ich es für einen dieser
Weihnachtsrundbriefe und wollte ihn schon ungelesen wegwerfen, las ihn aber
dann doch.
Es war eine Rezension meines ersten Romans, die sich Tom Atkins da
abgerungen hatte – eine extrem wohlwollende (wenn auch ziemlich ungeschickte)
Rezension. Wie ich im Laufe der Zeit feststellte, endeten Toms Rezensionen
meiner Romane immer mit demselben haarsträubenden Satz: »Du wirst es mir nicht
glauben, aber es ist besser als Madame Bovary, Bill –
wirklich!« Natürlich wusste ich, dass Atkins alles besser finden musste als Madame Bovary.
An einem bitterkalten Samstagabend im Februar 1978 feierte
Lawrence Upton in New York seinen sechzigsten Geburtstag. Ich war nicht mehr
sein Liebhaber – nicht einmal mehr sein gelegentlicher Bettgenosse –, aber wir
waren weiterhin eng befreundet. Einen Monat später (um meinen [492] 36. Geburtstag
herum, also im März) sollte mein dritter Roman erscheinen, und Larry hatte die
Druckfahnen gelesen. Er hielt ihn für mein bisher bestes Buch;
uneingeschränktes Lob aus Larrys Mund war mir ein wenig unheimlich, denn er war
dafür bekannt, dass er mit Kritik nicht geizte.
Fünfzehn Jahre zuvor hatte ich ihn in Wien kennengelernt; seither
hatte ich mir immer seine ätzenden Bemerkungen angehört, einschließlich seiner
oftmals widerwilligen Bewunderung meiner Person und meines Schreibens.
Jetzt hob Larry sogar bei dem rauschenden Fest zu seinem Sechzigsten – in Chelsea, in der Villa seines jungen Verehrers Russell von der Wall Street – das Glas auf mich und hielt eine Ansprache. Damit hatte ich nun wirklich
nicht gerechnet – noch dazu vor all seinen älteren, gar so souveränen Freunden.
»Ich möchte den meisten von euch dafür
danken, dass ihr mir das Gefühl gebt, jünger zu sein, als ich bin – an erster
Stelle dir, lieber Bill«, hatte Larry angefangen. (Na gut – das war wohl doch
ein bisschen ätzend, zumindest Russell gegenüber.)
Ich wusste, dass sich die Feier nicht bis spät in die Nacht
hinziehen würde, dafür waren zu viele alte Säcke versammelt,
Weitere Kostenlose Bücher