In einer Person
gebracht«, sagte Richard. »Ich bin mir nicht sicher, ob es für
Schulkinder geeignet ist.«
»Wie kommst du zurecht, Richard?«, fragte ich ihn in der Hoffnung,
das Thema wechseln zu können.
»Ich erinnere mich an einen Jungen, der bereit war, Shakespeare
umzuschreiben – einen Jungen, für den feststand, dass der Epilog von Der Sturm irrelevant war«, sagte Richard.
»An den Jungen erinnere ich mich auch«, sagte ich ihm. »Bei dem
Epilog habe ich mich geirrt.«
»Wenn du nur lange genug lebst, Bill, gibt es nur noch Epiloge«,
sagte Richard Abbott.
Das war die erste Vorwarnung, der ich noch keine [529] Beachtung
schenkte. Richard war nur zwölf Jahre älter als ich; das ist kein sehr großer
Altersunterschied – nicht wenn Richard 48 war, und ich 36. 1978 waren wir fast
wie Gleichaltrige. Ich war erst dreizehn gewesen, als Richard mich mitgenommen
hatte, damit ich meinen ersten Bibliotheksausweis bekam – an dem Abend, als wir
beide Miss Frost kennenlernten. Mit 25 war Richard Abbott mir so lässig elegant
vorgekommen – und ich hielt ihn für eine Autorität.
Mit 36 empfand ich keinen mehr als »Autorität« – nicht einmal Larry,
nicht mehr. Grandpa Harry war zwar unverändert gutherzig, wurde aber immer
eigenartiger; selbst für mich (einen Ausbund an Toleranz, wie ich mich selbst
sah) waren Harrys frühere Marotten auf der Bühne erträglicher gewesen. Selbst
Mrs. Hadley war nicht mehr die Autorität, als die ich sie einmal gesehen hatte,
und selbst die Ratschläge meiner besten Freundin Elaine befolgte ich nicht mehr
vorbehaltlos. (Schließlich war Elaine in Beziehungen kein bisschen besser –
oder zuverlässiger – als ich.) Miss Frost hätte ich vermutlich – selbst im
besserwisserischen Alter von 36 – immer noch als Autorität betrachtet, doch ich
hörte nichts von ihr.
Ich beherzigte, wenn auch zögernd, Herm Hoyts Rat: Als ich das
nächste Mal Arthur begegnete, der nicht nur Ringer und in meinem Alter war,
sondern wie ich auch um den See im Central Park joggte, fragte ich ihn, ob die
Einladung immer noch galt, meine bescheidenen Fertigkeiten als Ringer im New
York Athletic Club zu trainieren – und meinte damit: nun, da Arthur wusste,
dass ich bisexuell und kein echter Ringer war und lernen wollte, mich besser zu
verteidigen.
[530] Armer Arthur. Er gehörte zu den wohlmeinenden Heteros, die nicht
im Traum daran dachten, zu Schwulen gemein oder auch nur im Entferntesten
unfreundlich zu sein. Arthur war ein liberaler, aufgeschlossener New Yorker,
ausgesprochen fair und zu Recht stolz darauf; er wollte auch unbedingt alles
»richtig« machen. Ich sah auch, wie er mit sich kämpfte, weil er es »falsch«
gefunden hätte, mich nicht in seinen Ringerclub einzuladen, nur weil ich… um
mit Onkel Bob zu sprechen, vom anderen Ufer war.
Für meine schwulen Freunde war es ein Problem, dass ich bisexuell
war; entweder wollten sie partout nicht glauben, dass ich auch auf Frauen
stand, oder sie unterstellten mir, dass ich irgendwie unehrlich sei (und mich
nach allen Seiten absicherte), was mein Schwulsein betraf. Für die meisten
Heteromänner – selbst für einen so edlen wie Arthur – war ein bisexueller Mann
schlicht schwul. Was Heteromänner vom Bi-Sein mitbekamen, war nur der schwule Aspekt. Und das war der schwierige Teil, wenn
Arthur mit seinen Kameraden im Ringerverein über mich sprach.
Es war das Ende der freizügigen siebziger Jahre; auch wenn es nicht
unbedingt die Norm war, sexuelle Abweichungen zu akzeptieren, so war es in New
York doch fast normal – in liberalen Kreisen erwartete man, dass so etwas
akzeptiert wurde. Dennoch war es mir plötzlich auch peinlich, dass ich Arthur
mit meinem Ansinnen so in Verlegenheit gebracht hatte; ich hatte keine Ahnung
von den verbohrt reaktionären Elementen des New York Athletic Club zu einer
Zeit, als die ehrwürdige alte Institution noch eine rein männliche Bastion war.
Und entsprechend konnte ich auch nicht ahnen, was [531] Arthur
durchmachen musste, nur um mir einen Gastausweis oder einen befristeten
Mitgliedsausweis für den NYAC zu besorgen. (So
wie ich nicht mehr weiß, wie die Umstufungsbenachrichtigung bei der Armee genau
hieß, so weiß ich auch nicht mehr, wie mein blöder Ausweis für den New York
Athletic Club hieß.)
»Bist du jetzt völlig verrückt geworden, Billy?«, fragte mich
Elaine. »Legst du’s drauf an, getötet zu werden? Dieser Laden ist dafür berüchtigt,
anti alles zu sein. Er ist auch anti semitisch
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