In einer Person
Grandpa Harry aus der
Hirschjagd einen Biathlon-Wettkampf machten.
»Wilderer, Chuck! Ich habe gesehen sie mit eigenen Augen – auf dem
Sportgelände der Favorite River Academy. Ich bin, während wir gerade reden,
unterwegs, um zu jagen sie!«, hatte Nils mit Nachdruck in den Hörer gerufen.
[540] »Was? Halt! «, hatte Chuck
zurückgerufen. »Wilderer in der Jagdsaison – womit jagen die denn, Nils? Etwa
mit Maschinengewehren?«, hatte der Jagdaufseher nachgefragt. Doch Nils hatte
schon aufgelegt. Als Chuck den Leichnam fand, sah es so aus, als wäre das
Gewehr losgegangen, als Nils die Waffe hinter seinem Rücken hervorzog. Chuck
war bereit, den Todesschuss einen Unfall zu nennen, weil er schon lange der
Meinung war, es sei gefährlich, wie Nils und Grandpa Harry Hirsche jagten.
Nils hatte ganz genau gewusst, was er tat. Normalerweise jagte er
Hirsche mit einer .30-06. Den leichteren Karabiner im Kaliber .30-30 nannte
Grandpa Harry eine »Ungeziefer-Flinte«. (Harry jagte damit Hirsche; für ihn
waren Hirsche Ungeziefer.) Der Karabiner hatte einen kurzen Lauf; Harry wusste,
dass es Nils leichterfiel, sich mit der .30-30 in den Hinterkopf zu schießen.
»Aber warum hat Nils sich erschossen?«,
fragte ich Grandpa Harry.
»Tja, Bill – Nils war Norweger«, setzte Grandpa Harry an; erst
Minuten später fiel ihm ein, dass er mir noch nicht erzählt hatte, dass bei
Nils ein inoperabler Krebs diagnostiziert worden war.
»Oh!«
» Mrs. Borkman wird sich als Nächste
verabschieden, Bill«, prophezeite Grandpa Harry dramatisch. Wir hatten immer
darüber gescherzt, dass Mrs. Borkman eine Ibsen-Frau war, aber siehe da, sie
erschoss sich noch am selben Tag. »Wie Hedda – mit einer Faustfeuerwaffe in die
Schläfe!«, berichtete Grandpa Harry kurz darauf bewundernd in einem zweiten
Telefonat.
[541] Für mich steht fest, dass der Verlust seines Geschäftspartners
und Freunds Nils Grandpa Harrys Niedergang beschleunigte. Und natürlich hatte
Harry auch seine Frau und seine beiden einzigen Kinder verloren. Daher
vertrauten Richard und ich ihn schon bald der Einrichtung für betreutes Wohnen
an. Dort zehrten Harrys »Überraschungsauftritte« im Fummel allerdings rasch
seinen Bonus als Neuzugang auf, so dass Richard und ich ihn (Anfang 1981, wenn
ich mich recht entsinne) in die River Street zurückverlegten, wo Richard und ich
für ihn eine Pflegerin einstellten, die im Haus wohnte und sich um ihn
kümmerte. Die Pflegerin hieß Elmira. Sie erinnerte sich nicht nur gern an
Harrys Bühnenauftritte als Frau (früher, als Elmira
noch ein kleines Mädchen gewesen war), sondern half Grandpa Harry sogar dabei,
aus Nana Victorias Fundus an Klamotten täglich ein neues Kleid auszuwählen.
Es war auch noch relativ früh in diesem Jahr (1981), als Mr. Hadley
seine Frau verließ. Wie sich herausstellte, brannte er mit einem Mädchen durch,
die eben erst ihren Abschluss an der Favorite River Academy gemacht hatte und
in ihrem ersten Studienjahr war – wo sie studierte, weiß ich nicht mehr. Sie
brach ihr Studium ab, um mit Mr. Hadley zusammenzuleben, der 61 war – genauso
alt wie Martha Hadley. Mrs. Hadley war im Alter meiner Mutter; sie war sage und
schreibe zehn Jahre älter als Richard Abbott, aber Elaine hatte wohl recht mit
ihrer Vermutung, dass ihre Mom Richard schon immer geliebt hatte. (Elaine hatte
meist recht.)
»Welch ein Melodram «, sagte Elaine erschöpft,
als – und zwar schon im Sommer 1981 – Mrs. Hadley und Richard [542] zusammenzogen.
Als Althippie weigerte sich Martha Hadley, wieder zu heiraten, und Richard war
(zweifellos) zufrieden, einfach nur Mrs. Hadley um sich zu haben, die sich nie
beklagte. Was lag Richard Abbott schon an einer neuen Ehe?
Außerdem war beiden klar, dass man sie auffordern würde, aus
Bancroft Hall auszuziehen, wenn sie nicht heirateten.
Auch wenn man inzwischen 1981 schrieb, so geschah dies alles doch in einer
Kleinstadt in Vermont, und auf der Favorite River Academy gab es zahlreiche
Internatsvorschriften. Ein unverheiratetes Paar, das in einer Lehrerwohnung auf
einer Internatsschule zusammenlebte – das ging gar nicht. Sowohl Mrs. Hadley
als auch Richard – daran zweifelten Elaine und ich keine Minute – hatten von
Jungenwohnheimen die Nase gestrichen voll. Durchaus
möglich, dass Richard Abbott und Martha Hadley auch dachten, sie wären verrückt
zu heiraten, denn wenn sie in Sünde zusammenlebten, brauchten sie nicht mehr in
einem Wohnheim zu hausen!
Mrs. Hadley und
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