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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Weihnachtsbaum auffiel) und raus aus diesem heimgesuchten Haus wiederholte Elaine immerzu einen Satz,
der nicht recht zu mir durchdrang. In der Auffahrt stand der Taxifahrer vom
Bahnhof, den wir gebeten hatten zu warten. (Zu meiner Überraschung waren wir
nur eine knappe Stunde im Haus der Atkins gewesen; für Elaine und mich hatte es
sich angefühlt, als hätten wir unser halbes Leben dort verbracht.)
    »Ich hab nicht verstanden, was du gesagt hast«, sagte ich zu Elaine,
als wir beide im Taxi saßen.
    »Was wird aus der Ente, Billy?«, wiederholte Elaine – diesmal laut
genug, dass ich sie verstand.
    Na schön, also noch ein Epilog, dachte
ich.
    »Wir sind vom Stoff, / Aus dem die Träume sind, und unser kleines
Leben / Ist eingebettet in einen langen Schlaf«, sagt Prospero – 4. Aufzug, 1.
Szene. Es gab mal eine Zeit, als ich wirklich der Meinung gewesen war, Der Sturm könnte und sollte dort enden.
    [589]  Wie beginnt Prospero den Epilog? Ich kramte in meiner Erinnerung.
Natürlich würde Richard Abbott es wissen, doch als Elaine und ich nach New York
zurückkamen, wusste ich, dass ich Richard nicht anrufen wollte. (Ich war nicht
bereit, Mrs. Hadley von Atkins zu erzählen.)
    »Die ersten Zeilen im Epilog von Der Sturm «,
sagte ich im Taxi traurig und möglichst beiläufig zu Elaine. »Du weißt schon –
der Schluss, gesprochen von Prospero. Wie fängt er an?«
    »›Hin sind meine Zauberein: / Was von Kraft mir bleibt, ist mein, /
und das ist wenig‹«, rezitierte Elaine. »Meinst du das, Billy?«
    »Ja, das meine ich«, sagte ich meiner liebsten Freundin. Genau so
fühlte ich mich – wenig Kraft.
    »Okay, okay«, sagte Elaine und schlang die Arme um mich. »Du darfst
jetzt weinen, Billy – das dürfen wir beide. Okay, okay.«
    Ich versuchte, nicht an jene Stelle in Madame
Bovary zu denken – Atkins hatte sie gehasst. Ich meine den Augenblick, nachdem Emma sich dem nichtswürdigen Rodolphe hingibt – wenn sie ihren Herzschlag spürt und fühlt, »wie das Blut aufs Neue durch
ihren Leib strömte gleich einer Flut quellender Milch«. Wie hatte dieser
Vergleich Atkins angewidert!
    Und doch, so schwer mir die Vorstellung auch fiel – nachdem ich den
kaum mehr als vierzig Kilo schweren, im Sterben liegenden Atkins gesehen hatte
und seine todkranke Frau, deren Blut keine »Flut quellender Milch« in ihrem
Leib war –, auch Tom und Sue Atkins mussten sich einmal so gefühlt haben,
wenigstens ein- oder zweimal.
    [590]  »Du willst doch nicht etwa behaupten, Tom Atkins habe dir
gesagt, Kittredge sei schwul – das willst du doch
nicht allen Ernstes behaupten, oder?«, fragte mich Elaine im Zug, eine Frage,
auf die ich gewartet hatte.
    »Nein, das will ich nicht behaupten – bei
dem Wort schwul hat Tom übrigens gleichzeitig genickt
und den Kopf geschüttelt. Atkins war einfach nicht mehr klar. Tom sagte nicht
genau, was Kittredge ist oder war, nur dass er ihn ›gesehen‹ hat und dass
Kittredge ›schön‹ sei. Und noch etwas: Tom sagte, Kittredge sei ganz und gar
nicht der, für den er ihn gehalten habe, Elaine – mehr weiß ich nicht«, sagte
ich ihr.
    »Na schön. Frag Larry, ob er irgendwas über Kittredge gehört hat.
Ich sehe in einigen Hospizen nach, wenn du im St. Vincent’s nachsiehst, Billy«,
sagte Elaine.
    »Tom hat nie behauptet, Kittredge sei krank, Elaine.«
    »Wenn Tom ihn gesehen hat, könnte Kittredge krank sein, Billy. Wer
weiß denn, wo Tom gewesen ist? Offenbar war Kittredge auch dort.«
    »Also gut – ich frage Larry, ich sehe im St. Vincent’s nach«, sagte
ich. Ich wartete ein Weilchen, während draußen hinter unseren Zugfenstern New
Jersey vorbeihuschte. »Du verschweigst mir etwas, Elaine«, sagte ich ihr auf
den Kopf zu. »Wie kommst du darauf, dass Kittredge Aids haben könnte? Was weiß
ich über Mrs. Kittredge nicht?«
    »Kittredge hat immer rumexperimentiert, nicht wahr, Billy?«, fragte
Elaine. »Darauf will ich hinaus – er hat rumexperimentiert. Er würde jeden ficken, nur um rauszufinden, wie es ist.«
    Doch ich kannte Elaine zu gut; ich wusste, dass sie log – [591]  vielleicht
eine Lüge durch Weglassen, nicht die andere Sorte –, und ich wusste, dass ich
Geduld mit ihr haben musste, so wie sie früher (und zwar jahrelang) mit mir
Geduld gehabt hatte. Elaine erzählte so gern Geschichten.
    »Ich weiß nicht, wer oder was Kittredge ist, Billy«, sagte mir
Elaine. (Was sich wie die Wahrheit anhörte.)
    »Ich weiß es auch nicht«, gab ich zurück.
    So sah es

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