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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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verstanden wir, warum diese
Wohnung für zwei Schriftsteller so günstig zu haben
gewesen war. Sie hätte gratis sein müssen!
    Nachdem Tom und Sue Atkins’ Aidstod für Elaine und mich schon zu
viel gewesen war, kamen wir mit dem, was Mrs. Delacorte sich selbst zugefügt hatte,
erst recht nicht klar; zumal wir noch nie von einem derart in die Länge
gezogenen Tod als gängigem Selbstmordplan unter Angehörigen von Aidsopfern
gehört hatten, besonders (wie der so umfassend informierte Larry Elaine und mir
erklärt hatte) unter alleinstehenden Müttern, die ihr einziges Kind verloren
hatten. Aber, wie Larry angemerkt hatte, wie hätte ich auch davon hören sollen?
(Larry hatte ja recht mit dem, was er sagte: Ich hielt mich tatsächlich aus
allem raus.)
    »Ihr wollt also versuchen, in San Francisco zusammenzuleben«, sagte
Larry zu mir, als wären wir zwei Kinder, die von zu Hause weggelaufen waren. »O
weh – ein bisschen spät für ein Liebesnest, was?« (Ich befürchtete schon,
Elaine würde ihm eine runterhauen.) »Und, wenn die Frage gestattet ist, wie
seid ihr ausgerechnet auf San Francisco gekommen? Hat euch jemand weisgemacht,
dort würden keine Schwulen sterben? Vielleicht sollten wir alle nach San
Francisco ziehen!«
    »Du kannst mich mal, Larry«, sagte Elaine.
    »Lieber Bill«, sagte Larry, ohne sie zu beachten, »vor einer Seuche kannst du nicht davonlaufen – nicht, wenn du sie hast. Und
komm mir nicht damit, Aids sei für deinen [630]  Geschmack zu Grand-Guignol-mäßig!
Sieh dir doch nur deine Texte an, Bill – des Guten zu viel ist gar kein
Ausdruck!«
    »Du hast mir sehr viel beigebracht«, konnte ich ihm darauf nur
erwidern. »Ich hab nie aufgehört, dich zu lieben, Larry, auch wenn ich nicht
mehr dein Geliebter bin. Ich liebe dich immer noch.«
    »Schon wieder des Guten zu viel, Bill«, war alles, was Larry dazu
einfiel; er konnte (oder wollte) Elaine nicht einmal ansehen, dabei wusste ich,
wie sehr er sie und ihre Bücher mochte.
    »Ich war mit keinem anderen Menschen je so intim wie mit dieser
schrecklichen Frau«, hatte Elaine mir über Mrs. Kittredge gesagt. »Ich werde
nie wieder jemandem so nahe sein.«
    » Wie nahe?«, hatte ich sie gefragt, und
sie war mir die Antwort schuldig geblieben.
    »Seine Mutter hat mich fürs Leben gezeichnet !«,
hatte Elaine über die obenerwähnte schreckliche Frau gesagt. » Sie werde ich nie vergessen!«
    » Wie hat sie dich gezeichnet?«, hatte ich
sie gefragt, doch sie war in Tränen ausgebrochen, und wir hatten unser Adagio -Ding gemacht: hatten uns einfach nur in den Armen
gelegen und unsere Langsam-leise-sanft-Nummer abgezogen. So hatten wir in San
Francisco zusammengelebt, fast das ganze Jahr 1985.
    Auf dem Höhepunkt der Aidskrise verließen viele Menschen ihr altes
Umfeld; viele von uns zogen um, in der trügerischen Hoffnung, anderswo wäre es
besser. Der Versuch konnte nicht schaden; jedenfalls schadete das [631]  Zusammenwohnen
Elaine und mir nicht – nur als Liebespaar wollte es mit uns nicht klappen.
»Wenn daraus je etwas hätte werden können«, sagte Martha Hadley uns später,
aber erst nachdem wir das Experiment beendet hatten, »dann hätte es wohl zwischen
euch gefunkt, als ihr Jugendliche wart – nicht erst mit Mitte vierzig.«
    Wie immer musste ich Mrs. Hadley recht geben, aber Elaine und ich
verlebten dennoch kein ganz schlechtes Jahr miteinander. Das Foto von Kittredge
und Delacorte mit Kleidern und Lippenstift benutzte ich als Lesezeichen und
ließ das jeweilige Buch an den üblichen Stellen herumliegen – auf dem
Nachttisch auf meiner Bettseite; auf der Arbeitsplatte in der Küche neben der
Kaffeemaschine; in dem kleinen, vollgestopften Bad, wo es Elaine im Weg sein
musste. Jaja, Elaine hatte nun mal sehr schlechte Augen.
    Es dauerte fast ein Jahr, bis es ihr auffiel; da kam sie nackt aus
dem Bad – in einer Hand das Foto, in der anderen meine aktuelle Lektüre. Sie
trug nichts als ihre Brille und warf das Buch nach mir!
    »Warum hast du es mir nicht einfach gezeigt, Billy? Ich hab schon
vor Monaten gewusst, dass es Delacorte war«, redete sie auf mich ein. »Aber das
andere Kind hab ich einfach für ein Mädchen gehalten!«
    »Wie du mir, so ich dir«, sagte ich zu meiner liebsten Freundin.
»Hast du mir nicht auch etwas zu erzählen?«
    Im Nachhinein versteht sich von selbst, dass wir in San Francisco
besser miteinander klargekommen wären, wenn wir uns gegenseitig gleich brühwarm
erzählt hätten, was wir über Kittredge

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