In einer Person
albern; es war eine, wie man sie in Kostümläden für Halloween findet. Und
natürlich war Mrs. Delacortes Kleid zu groß für den Jungen, aber der
Gesamteindruck war urkomisch und richtig süß – nun ja, für alle außer Mr. Delacorte. Neben dem Jungen stand ein größeres, etwas
älter aussehendes Mädchen – sehr hübsch, aber mit jungenhaft kurzem Haarschnitt
und umwerfend selbstsicherem, wenn auch schmallippigem Lächeln.
»Dieser Tag ist nicht gut ausgegangen. Carltons Vater kam nach Hause
und hat sich furchtbar aufgeregt, seinen Sohn so vorzufinden«, sagte Mrs.
Delacorte, während ich das Foto näher betrachtete. »Die Jungs hatten so viel
Spaß, und dieser alte Tyrann hat alles kaputtgemacht!«
»Die Jungs«, wiederholte ich. Das ausgesprochen hübsche Mädchen auf
dem Foto war Jacques Kittredge.
»Ach, den kennen Sie – das weiß ich doch!«, sagte Mrs. Delacorte und
zeigte auf den gar so perfekt als Mädchen verkleideten Kittredge. Er hatte sich
die Lippen weitaus gekonnter angemalt als Delacorte, und das schöne, aber
altmodische Kleid von Mrs. Delacorte saß ihm wie angegossen. »Der Sohn der Kittredges «, sagte die kleine Frau. »Er war auf Favorite
River – er war ebenfalls Ringer. Carlton hat ihn immer bewundert, glaube ich,
aber der war ein durchtriebenes Bürschchen, dieser Junge. Er konnte einen [627] charmant
um den Finger wickeln, aber er war auch ein kleiner Teufel.«
»Wieso?«, fragte ich Mrs. Delacorte.
»Er hat zum Beispiel Kleider von mir gestohlen«, sagte sie. »Ach,
ich hab ihm ein paar meiner alten Sachen geschenkt, die ich nicht mehr wollte –
er wollte ja andauernd Kleider von mir! ›Ach bitte, Mrs.
Delacorte‹, hat er gebettelt, ›die Kleider meiner Mutter sind mir viel zu groß,
und meine Mutter lässt sie mich auch nicht anprobieren – sie sagt, ich
zerknitter sie ihr immer!‹ So ging das am laufenden Band. Bis dann ein Kleid
von mir nach dem anderen weg war – ich meine solche, von denen ich ganz genau
wusste, dass ich sie ihm nie im Leben geschenkt
hätte.«
»Oh!«
»Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, aber ich genehmige mir jetzt noch einen Drink!«, sagte Mrs.
Delacorte und ging hinaus, um sich einen zweiten Whiskey zu holen. Ich sah mir
all die anderen Fotos an der Pinnwand in Delacortes ehemaligem Kinderzimmer an.
Auf drei oder vier war Kittredge mit drauf – jedes Mal als Mädchen. Als Mrs.
Delacorte zurückkam, hielt ich noch das Foto in der Hand, das sie mir gegeben
hatte.
»Bitte behalten Sie es«, sagte sie. »Ich erinnere mich ungern daran,
wie dieser Tag endete.«
»Also gut«, sagte ich. Ich habe das Foto immer noch, obwohl ich mich
ungern an den Tag erinnere, an dem Carlton Delacorte starb.
Habe ich Elaine von Kittredge und Mrs. Delacortes Kleidern
erzählt? Habe ich Elaine das Foto von Kittredge als [628] Mädchen gezeigt? Nein,
natürlich nicht – schließlich hielt Elaine mich auch hin, oder?
Irgendein Typ, den Elaine kannte, bekam ein Guggenheim-Stipendium;
er war ein Schriftstellerkollege, und er erzählte Elaine, sein schäbiges
Apartment im siebten Stock an der Post Street sei genau das Richtige für zwei
Schriftsteller.
»Wo ist die Post Street?«, fragte ich Elaine.
»In der Nähe vom Union Square, hat er gesagt – es ist in San
Francisco, Billy«, antwortete sie.
San Francisco kannte ich überhaupt nicht; ich wusste nur, dass es
dort sehr viele Schwule gab. Natürlich wusste ich, dass in San Francisco die
Schwulen wie die Fliegen starben, aber ich kannte dort niemanden näher, und es
gab dort keinen Larry, der mich ständig nervte, ich müsse mich mehr einbringen.
Noch etwas war verlockend: Elaine und ich konnten (oder wollten) die Suche nach
Kittredge nicht fortsetzen – nicht in San Francisco, dachten wir jedenfalls.
»Wo fährt dein Freund mit seinem Guggenheim-Stipendium denn hin?«,
fragte ich Elaine.
»Nach Europa, ich weiß nicht, wohin«, sagte Elaine.
»Vielleicht sollten wir versuchen, in Europa zusammenzuleben«,
schlug ich vor.
»Die Wohnung in San Francisco ist jetzt zu haben, Billy«, sagte
Elaine. »Und als Unterkunft für zwei Schriftsteller ist sie verdammt günstig.«
Als Elaine und ich in diesem Rattenloch von einer Wohnung im siebten
Stock zum ersten Mal aus dem Fenster schauten – auf die tristen Dächer an der
Geary Street [629] und das blutrote senkrechte Schild des Hotels Adagio (die
Neonbuchstaben für HOTEL waren schon vor unserer
Ankunft in San Francisco kaputtgegangen) –, da
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