In einer Person
aber nur Bier«, sagte ich.
»Etwas anderes trinke ich nicht.«
»Ich trinke nur agua con gas «, sagte Señor
Bovary und schenkte mir sein kleines, strahlendes Lächeln.
»Mineralwasser, mit Bläschen, stimmt’s?«, fragte ich ihn.
»Ich schätze, wir mögen beide Bläschen «,
sagte Bovary nur; er war weiter durch die Hortaleza gegangen. Ich achtete nicht
groß auf die Straße, erkannte aber den Nachtclub mit dem portugiesischen Namen
wieder – A Noite.
Als Señor Bovary mich hineinführte, fragte ich: »Ach, ist das der Club?«
»Zum Glück nicht «, antwortete der kleine
Mann. »Wir vertreiben uns nur die Zeit. Wenn die Show hier wäre, hätte ich dich nicht hergebracht, aber hier fängt die Show erst sehr spät
an. Man kann vorher gerade noch etwas trinken.«
Am Tresen lungerten ein paar magere junge Schwule herum. »Wenn du
allein wärst, könntest du dich nicht vor ihnen retten«, behauptete Bovary. Der
Tresen war aus schwarzem Marmor, vielleicht war es auch polierter Granit. Ich
bestellte ein Bier, und Señor Bovary genehmigte sich ein agua
con gas, während wir warteten.
Im A Noite gab es einen ganz in Blau gehaltenen [688] Tanzsaal und eine
Guckkastenbühne; hinter der Bühne spielten sie Songs von Sinatra. Als ich den
Nachtclub leise mit dem Attribut retro versah, sagte
Bovary nur: »Das ist noch geschmeichelt.« Er sah ständig auf die Uhr.
Kurz vor elf Uhr abends traten wir wieder auf die Hortaleza hinaus;
ich hatte noch nie so spät so viele Leute auf der Straße gesehen. Als Bovary
mich zu dem Club brachte, wurde mir klar, dass ich schon mindestens zweimal
achtlos daran vorbeigegangen war. Es war ein sehr kleiner Club mit einer langen
Schlange davor – auf der Hortaleza, zwischen Calle de las Infantas und San
Marcos. Erst jetzt sah ich den Namen des Clubs – zum ersten Mal. Der Club hieß SEÑOR BOVARY .
»Oh!«, sagte ich, als Bovary mich an den Wartenden vorbei zum
Bühneneingang brachte.
»Erst sehen wir uns Frannys Auftritt an, dann triffst du ihn«, sagte der kleine Mann gerade. »Mit ein bisschen Glück sieht er
dich erst am Ende seiner Nummer bei mir stehen – oder zumindest gegen Ende.«
Die gleichen Typen, die ich schon in A Noite gesehen hatte, magere
junge Schwule, drängten sich um die Bar, machten Señor Bovary und mir aber
Platz. Auf der Bühne befand sich eine transsexuelle Tänzerin, sehr ansehnlich –
an ihr war nichts retro.
»Schamlose Anbiederei an Heteromänner«, flüsterte mir Bovary ins
Ohr. »Oh, und an Männer wie dich, nehme ich an – ist sie dein Typ?«
»Ja, absolut«, sagte ich ihm. (Ich fand nur das auf der Tänzerin
zuckende limonengrüne Stroboskoplicht ein wenig kitschig.)
[689] Es war keine richtige Strip-Show; natürlich hatte die Tänzerin
sich die Möpse machen lassen, und sie war sehr stolz darauf, aber den
Stringtanga nahm sie nie ab. Die Menge klatschte frenetisch, als sie die Bühne
verließ und dabei durch das Publikum ging – sogar an der Theke vorbeikam, den
Tanga immer noch an, aber die restlichen Klamotten unterm Arm. Als Bovary auf
Spanisch etwas zu ihr sagte, lächelte sie.
»Ich sagte, du seiest ein sehr wichtiger Gast und sie sei absolut dein Typ«, berichtete mir der kleine Mann mit
schelmischem Unterton. Als ich etwas sagen wollte, legte er den Zeigefinger an
die Lippen und flüsterte: »Ich werde für dich dolmetschen.«
Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz – dass er für mich dolmetschen
wolle, falls ich später mit der transsexuellen Tänzerin anbändeln wolle –, doch
Bovary meinte, er werde für meinen Vater dolmetschen. »Franny! Franny!
Franny!«, ertönte es immer wieder aus dem Publikum.
Von dem Augenblick an, als Franny Dean die Bühne betrat, ertönten
Ooohs und Ahhhs; nicht nur wegen des Flitters und des gewagten Dekolletés
seines Kleides, sondern auch dank des tiefen Rückenausschnitts und des
selbstsicheren Auftretens meines Vaters wurde mir klar, warum Grandpa Harry ein
Faible für William Francis Dean gehabt hatte. Die Perücke war eine silbrig
glitzernde, rabenschwarze Mähne, passend zum Kleid. Die Gummititten waren eher
bescheiden – klein, wie der ganze Mann –, und die Perlenkette war nicht
protzig, reflektierte aber das taubenblaue Bühnenlicht. Genau dieses
taubenblaue Licht hatte alles Weiße auf der Bühne und im Zuschauerraum [690] perlgrau
gefärbt – sogar das weiße Hemd von Señor Bovary, der an der Bar saß.
»Ich habe euch eine kleine Geschichte zu erzählen«, sagte mein
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