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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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war ein gewöhnlicher Arbeitstag. Die Lesbenfraktion war kaum vertreten –
jedenfalls sah ich keine, aber das war auch nur mein erster Eindruck von
Chueca.
    An der Hortaleza gab es einen Nachtclub namens A Noite, nicht weit
von der Calle de Augusto Figueroa, doch tagsüber fallen einem die Nachtclubs
nicht groß auf. Mir fielen der deplatzierte portugiesische Name ( a noite – portugiesisch für »die Nacht«) und die lädierten
Reklametafeln auf, mit denen für Shows geworben wurde, darunter einer mit
Dragqueens.
    An den Straßen zwischen der Gran Vía und der U-Bahn- [682]  Station auf
der Plaza de Chueca gab es massenhaft Bars, Sexshops und Modeboutiquen für
Schwule. Taglia, das Perückengeschäft an der Calle de Hortaleza, lag gegenüber
eines Fitnessstudios für Bodybuilder. Ich sah, dass TimT-Shirts (ohne Struppi)
beliebt waren, und an der Ecke Calle de Hernán Cortéz standen in den
Ladenfenstern männliche Schaufensterpuppen in Stringtangas. (Zum Glück bin ich
für so was wie Stringtangas zu alt.)
    Ich hatte gegen den Jetlag zu kämpfen und versuchte einfach nur, den
Tag durchzustehen und lange genug aufzubleiben, um in meinem Hotel ein frühes
Abendessen einzunehmen, ehe ich ins Bett ging. Ich war zu müde, um die
muskelbepackten Kellner in T-Shirts im Mama Inés Café an der Hortaleza zu
würdigen; fast alle Gäste waren Männerpaare, dazwischen eine einzelne Frau. Sie
trug Flip-Flops und ein Neckholder-Bustier; sie hatte ein eckiges Gesicht, stützte
das Kinn auf und sah sehr traurig aus. Fast hätte ich versucht, sie
abzuschleppen. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, warum die Frauen in Spanien
ab einem bestimmten Alter plötzlich dick wurden. Mir fiel ein bestimmter Typus
Mann auf – hager, im ärmellosen Unterhemd, aber mit einem kleinen, trostlos
wirkenden Schmerbauch.
    Ich trank sogar (für mich völlig untypisch, weil ich danach nicht
schlafen kann) um fünf noch einen café con leche, denn
ich wollte unbedingt wach bleiben. Später entdeckte ich eine Buchhandlung an
der Calle de Gravina – ich glaube, sie hieß Libros. (Kein Witz, ein Buchladen,
der »Bücher« heißt.) Englische Romane – wohlgemerkt im Original – waren dort
gut vertreten, doch es gab nichts Zeitgenössisches, nicht einmal aus dem 20. Jahrhundert.
Eine Weile [683]  durchstöberte ich die Belletristikecke. Schräg gegenüber auf der
anderen Straßenseite, an der Ecke Calle de San Gregorio, gab es eine offenbar
beliebte Bar – sie hieß Ángel Sierra. Als ich die Buchhandlung verließ, war die
Siesta wohl vorbei, denn die Bar füllte sich allmählich.
    Ich kam an einem Café vorbei, auch an der Calle de Gravina, in dem
einige ältere, elegant gekleidete Lesben an einem Fenstertisch saßen – meines
beschränkten Wissens nach die einzigen Lesben, die ich in Chueca entdeckte, und
beinahe die einzigen Frauen, die ich in diesem Bezirk überhaupt zu sehen bekam.
Doch es war noch früh am Abend, und ich wusste, dass man in Spanien erst sehr
spät ausgeht. (Ich war bereits in Barcelona gewesen, auf Lese- und Pressereise,
denn mein spanischer Verlag ist dort.)
    Als ich Chueca verließ – um den langen Rückmarsch ins Santo Mauro
anzutreten –, machte ich an einer Bären-Kneipe an der Calle de las Infantas
halt. Die Bar hieß Hot und war brechend voll mit Männern, die Brust an Brust
und Rücken an Rücken dastanden. Es waren ältere Männer, und Sie wissen ja, wie
Bären sind – durchschnittlich aussehende Männer, plumpe, bärtige Typen, viele
davon Biertrinker. Wir waren in Spanien, daher wurde natürlich viel geraucht;
ich blieb nicht lange, doch im Hot herrschte eine freundliche Atmosphäre. Die
Barkeeper ohne Hemden waren die jüngsten Typen in der Bar – sie waren wirklich
scharf, »hot«.
    Bei dem adretten kleinen Mann, mit dem ich mich am nächsten
Abend in einem Restaurant auf der Plaza Mayor traf, dachte man nicht sofort an
einen jungen Soldaten, der [684]  seine Hose auf die Knöchel heruntergelassen hatte
und bei einem Unwetter auf hoher See Madame Bovary las, während er – auf dem nackten Hintern – über eine Reihe Klositze rutschte,
um meinen jungen Vater kennenzulernen.
    Señor Bovarys Haupthaar war akkurat gestutzt und völlig weiß, genau
wie die kurzen Borsten seines gepflegten Schnurrbarts. Er trug ein gebügeltes,
kurzärmeliges weißes Hemd mit zwei Brusttaschen – eine für seine Lesebrille,
die andere mit Kulis gespickt. Seine Khakihose hatte präzise Bügelfalten; die
vielleicht einzigen

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