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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Ein
guter Rat, aber er rettet Lears Narren ebenso wenig, wie er Delacorte gerettet
hat.
    In Delacortes Gegenwart benahm Kittredge sich seltsam; er konnte
freundlich und genervt zugleich auf ihn reagieren. Mir kam es so vor, als seien
die beiden seit Kindertagen befreundet, aber Delacorte habe seinen Freund
enttäuscht – als sei aus ihm nicht das »geworden«, was Kittredge sich erhofft und
erwartet hatte.
    Kittredge hatte einiges für Delacortes Mundspül-Tick übrig; er hatte
Richard sogar vorgeschlagen, in die Aufführung einzubauen, dass Lears Narr
ständig spülte und spuckte.
    »Das wäre nicht Shakespeare«, stellte Grandpa Harry klar.
    »Das Spülen und Spucken souffliere ich nicht, Richard«, sagte meine
Mutter.
    [292]  »Delacorte, würden Sie bitte Ihr Spülen und Spucken hinter den
Kulissen erledigen?«, verlangte Richard von dem zwangsneurotischen
Leichtgewicht.
    »War nur so ’ne Idee«, hatte Kittredge mit verächtlichem
Achselzucken gesagt. »Dann muss es eben reichen, dass wir wenigstens einen
Narren haben, der das Wort Schatten sagen kann.«
    Mir gegenüber äußerte sich Kittredge philosophischer. »Sieh es mal
so, Nymphe – niemand engagiert einen Schauspieler mit eingeschränktem
Wortschatz. Aber es ist doch positiv, wenn einem in so jungen Jahren mal seine
Grenzen aufgezeigt werden«, versicherte er mir. »Eigentlich ein glücklicher
Zufall – jetzt weißt du, dass du nie im Leben Schauspieler werden kannst.«
    »Du meinst, diesen Beruf kann ich mir nicht aussuchen?« Es waren die
gleichen Worte, die damals Miss Frost gewählt hatte – als ich ihr sagte, dass
ich Schriftsteller werden wolle.
    »Wohl kaum, Nymphe – nicht, wenn du eine Chance auf Sieg haben
willst.«
    »Oh!«
    »Und es könnte nicht schaden, Nymphe, wenn du dir auch noch über
eine andere Entscheidung klar würdest – ich meine, bevor du dich für einen
Beruf entscheidest«, sagte Kittredge. Ich schwieg einfach. Ich kannte ihn gut
genug, um zu wissen, wann er mir eine Falle stellte. »Da wäre noch die Frage
deiner sexuellen Präferenzen«, fuhr Kittredge fort.
    »Meine sexuellen Präferenzen sind sonnenklar«, behauptete ich – ein
wenig über mich selbst erstaunt, denn ich [293]  schauspielerte ohne auch nur den
leisesten Anflug eines Ausspracheproblems.
    »Ich weiß nicht, Nymphe«, sagte Kittredge mit diesem absichtlichen
oder unfreiwilligen Zucken in den Muskeln seines breiten Ringerhalses. »Was
sexuelle Präferenzen angeht, wirkst du auf mich noch etwas unentschieden.«
    »Ach, du bist’s!«, empfing Miss Frost mich fröhlich; es klang
auch überrascht. »Ich hatte mit deinem Freund gerechnet. Er war hier – bis eben
gerade. Da dachte ich, er ist’s noch einmal.«
    »Wer?«, fragte ich. (Natürlich dachte ich an Kittredge – nicht
direkt ein Freund.)
    »Tom«, sagte Miss Frost. »Tom war eben hier. Ich weiß nie so recht,
warum er kommt. Er fragt mich immer nach irgendeinem Buch, das er angeblich
nicht in der Schulbibliothek finden kann, obwohl ich genau weiß, dass die
Schule es besitzt. Na, jedenfalls habe ich nie das, wonach er sucht. Vielleicht
sucht er hier ja dich.«
    »Tom und wie weiter ?«, fragte ich sie. Mir
fiel spontan kein Tom ein.
    »Atkins – heißt er nicht so?«, fragte Miss Frost. »Ich kenne ihn als
Tom.«
    »Ich als Atkins«, sagte ich.
    »Ach William, ich wüsste zu gern, wie lange sich diese scheußliche
Sitte noch hält, wonach sich die Schüler dieser scheußlichen Schule
untereinander immer nur mit Nachnamen anreden sollen!«, sagte Miss Frost.
    »Sollten wir nicht flüstern?«, flüsterte ich.
    Schließlich waren wir in einer Bibliothek. Mich [294]  verwirrte, wie
laut Miss Frost redete, aber ich fand es auch aufregend, dass sie Favorite
River als eine »scheußliche Schule« bezeichnete; insgeheim dachte ich genauso,
hätte es aber aus Anhänglichkeit an Richard Abbott und Onkel Bob nie laut
gesagt, Lehrerbrut, die ich war.
    »Außer uns ist niemand da, William«, flüsterte Miss Frost zurück.
»Wir können so laut reden, wie wir wollen.«
    »Oh.«
    »Du bist bestimmt zum Schreiben hergekommen, stimmt’s?«, fragte sie
mich laut.
    »Nein, ich brauche Ihren Rat, was meine Lektüre angeht«, antwortete
ich ihr.
    »Geht es immer noch um Schwärmereien für die Falschen, William?«
    » Sehr falsche«, flüsterte ich.
    Sie beugte sich vor; noch immer war sie so viel größer als ich, dass
sie mir den Eindruck vermittelte, ich wäre überhaupt nicht gewachsen. »Wenn du
willst,

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