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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hast.«
    Allie bohrte die Füße tiefer in das Sofa. Sie spürte etwas unter ihren Zehen: eine Münze? Eine Knabberbrezel? »Du würdest nicht wollen, daß ich rede«, platzte sie heraus. »Glaub mir.«
    Cam sah sie lange an. »Bringen wir es hinter uns, Allie. Sag einfach, was du sagen mußt, und dann fangen wir von vorne an.«
    »Da gibt es nichts zu diskutieren«, knurrte Allie. »In meinem Benimmbuch steht nichts über solche Situationen.« Sie spürte Tränen hinter ihren Augen brennen, wandte sich ab und verfluchte sich dafür. Schwäche verzerrte ihre Lage, und das konnte sie nicht brauchen, nicht jetzt. Sie weigerte sich zu blinzeln, bis sie den Kronleuchter über dem Eßtisch leise schaukeln sah. Er war aus Eisen; eine Reihe von laufenden, drahtigen Strichmännchen wie von Keith Haring, die ihre Arme nach der Mitte streckten, um ein fettes Gehäuse zu halten, in dem die Glühbirne saß. Als Mia mit ihr gekommen war, an jenem allerersten Tag, hatte sie gesagt, daß er ihr gefiele.
    »Denkst du an sie?« flüsterte Allie, und zwar so leise, daß Cam sie bitten mußte, die Frage zu wiederholen. »Denkst du an sie?«
    Er antwortete nicht. Anfangs, am Tag von Mias Verschwinden, hatte er immer nur an sie denken können, bis er schließlich Seminar Seminar sein ließ, um herauszufinden, was eigentlich passiert war. Dann hatte er daheim entdeckt, daß all seine Sachen verschwunden waren; aber Mia geisterte immer noch so in ihm herum, daß er sich erst am folgenden Morgen auf die Wiederbeschaffung konzentrieren konnte.
    Doch inzwischen waren mehrere Tage vergangen, und er traf Allie ständig. Er prallte mit ihr zusammen, wenn sie den Abstand falsch einschätzten, rieb sich an den Wundrändern ihres Schmerzes. Und ihn beschäftigte allmählich weniger, wieviel er verloren hatte, als wieviel noch gerettet werden konnte.
    Mit einem Zentimeter Abstand ließ er seine Hand über Allies Fußknöchel schweben. »Ich denke immer noch an sie«, gestand er. »Nicht mehr so oft, aber trotzdem …«
    Allie wandte sich ab und zog die Beine unter ihren Körper.
    »Warum hast du das Glasbild nicht verkauft?« fragte Cam.
    »Weil ich blöd bin«, brauste sie auf. »Ich hätte es verkaufen sollen!« Sie sah Cam ins Gesicht. »Hat sie es mit dir ausgesucht? Mit dir eingepackt?«
    »Hör auf!« Cam streckte die Hand nach ihr aus.
    Doch Allie rannte bereits die Treppe hinauf. Als er im Schlafzimmer ankam, hatte sie das Bild vom Haken genommen. »Als du es mir geschenkt hast, hast du gesagt, ich soll vorsichtig damit umgehen.« Allies Stimme überschlug sich. »Du hast gesagt, es hält keinen Schubs aus.«
    Und sie ließ es auf den Boden krachen!
    Angus wollte am nächsten Tag nicht nach Pittsfield fahren, weil er blind aufwachte. Natürlich belastete er damit Jamie nicht, der einmal am Morgen in sein Schlafzimmer gekommen war und dann nochmal, nachdem Allie ihn abgesetzt hatte. Er hatte nur gesagt, es wäre eine seiner dummen Migränen und er hielte es für besser, nicht so lange im Auto zu sitzen.
    Jamie verstand ihn eben, der gute Junge! Er erkundigte sich noch, ob Angus irgend etwas brauchte – Aspirin, ein nasses Tuch für die Stirn, Suppe –, doch Angus hatte ihn weggescheucht. Einen ruhigen Schlaf, hatte er gemurmelt. Morgen wird's uns beiden besser geben.
    Wenn man es genau betrachtete, dann war Angus nicht wirklich blind. Er sah die Dinge nur anders, als sie um ihn herum existierten. Seit acht Jahren schlief er nun in diesem Zimmer und wußte genau, wo sich die Tür befand, daß der Schreibtisch links von seinem Bett stand, wo das Fenster war und welche Vorhänge dort hingen. Doch als Angus an diesem Morgen die Augen aufgeschlagen hatte, erkannte er nur die große Halle in Carrymuir.
    Es war gelinde gesagt irritierend, daß Jamie einfach durch die Tür trat und sich an ein über dreihundert Jahre altes Wappenschild lehnte oder daß am Fuße des Möbels, das ihm irgendwie als Bett gedient hatte, der verkratzte Holztisch mit seinen dreißig Stühlen stand. Mehrmals während des Tages versuchte Angus, die Augen zuzukneifen und sie klar zu reiben oder einen Liquor einzuträufeln – damit das gewohnte Bild zurückkam; aber all seine Bemühungen waren vergebens.
    In jener Nacht träumte Angus. Die Wände seines Zimmers klappten nach außen, sein Haus wurde rund wie die Welt, und er sah von dort, wo eigentlich der Mond stehen sollte, drei Lichtkugeln niedersinken. Die Straße rollte sich auf, der Asphalt verschwand, und darunter

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