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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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angehört zu werden und ein gerechtes Urteil zu empfangen.
    Plötzlich fiel Cameron die Geschichte des alten MacDonald aus Keppoch ein, der vor Jahrhunderten eine Frau verurteilt hatte, weil sie Gold aus seiner Burg entwendete. Er hatte sie an die Felsen der Insel ketten lassen, so daß sie ertrinken mußte, als die Flut kam. Niemand aus dem Clan stand ihr bei; niemand erhob gegen das Urteil des Chiefs Einspruch. Schließlich hatte die Frau, indem sie den Chief bestahl, indirekt sie alle bestohlen.
    Es war vorsätzlicher Mord; ein Mord ersten Grades, wie es in der Neuen Welt hieß.
    Und zwar aus Gnade und Fürsorge.
    Er wußte, daß der Ort in einem Fall wie diesem für die eine oder die andere Seite Partei ergreifen würde. Ebenfalls wußte er, daß genau wie vor dreihundert Jahren niemand in Wheelock seine Entscheidung in Frage stellen würde, ganz gleich, ob er Jamie MacDonald laufen ließe oder ob er lebenslange Haft empfahl.
    Doch das machte die Sache nicht leichter.
    Es war nach halb fünf, als Allie in den Blumenladen zurückkehrte. Sie zwängte sich an Mia vorbei, rutschte dabei beinahe auf den abgeschnittenen Stengeln aus, die auf dem Boden verstreut lagen, und schloß sich hinten in der Toilette ein. Dann übergab sie sich, bis nichts mehr in ihrem Magen war.
    Als sie aus der Toilette trat, stand Mia vor ihr, in der Hand eine Schüssel Wasser und ein Einweghandtuch. »Sie sollten sich hinsetzen«, riet sie. »Der Rosenduft hier macht es nur noch schlimmer.«
    »Es ist ein bißchen viel«, pflichtete Allie ihr bei. Sie sank auf ihren Arbeitsstuhl und legte den Kopf in den Nacken, während Mias kühle Hände ihr das nasse Einweghandtuch auf die Stirn preßten. »Himmel«, seufzte sie.
    Als Allie die Augen schloß, ging Mia zur Tür. Dort blieb sie stehen, eine Hand am Rahmen. »Stimmt es? Daß er sie getötet hat, weil sie im Sterben lag?«
    Allies Kopf fuhr hoch. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Eine Frau namens Hannah hat angerufen. Aber da waren Sie noch nicht da.« Mia stockte. »Ich habe die Körbe für den Friedhof und die Kränze fertig«, fügte sie hinzu. »Sie können sie sich ansehen.«
    Mit pochenden Schläfen wuchtete Allie sich hoch. Sie würde einen Blick auf Mias Werke werfen – obwohl sie sicher war, daß sie gute Arbeit geleistet hatte –, dann die Blumen versorgen und den Laden eine halbe Stunde früher schließen.
    Mias Arrangements prangten unten im Kühlregal, drei schlichte kegelförmige Aufbauten, die keineswegs wie Friedhofsgestecke aussahen. Es waren ganz traditionelle Sträuße mit Nelken, Schwarzkümmel, Berberitzen, Rittersporn, gelben Rosen und Michaelmas-Margeriten, farbenfroh, aber in keiner Weise außergewöhnlich. Allies Blick wanderte mit einem Anflug von Enttäuschung über die Arbeiten. Nach Mias grünem, erstaunlichen Traum von heute morgen hatte sie auf etwas Originelleres gehofft.
    »Ah«, erklärte Mia und wischte sich die Hände an einer Schürze ab, die Allie gehörte und die sie schon fast vergessen hatte. »Die da sind nicht für die Beerdigung. Ich habe die Bestellung für diese MacBean gesehen – es hätte ja sein können, daß Sie nicht rechtzeitig wieder da sind, um die Sachen bis zu dem Essen morgen fertig zu machen.« Sie zog eine magere Schulter hoch. »Und ich dachte, in einer Bücherei will man bestimmt nichts Ausgefallenes; deshalb habe ich mich zu erinnern versucht, wie die Gestecke bei der Hochzeit meiner Cousine Louise ausgesehen haben.« Allie lüftete die Brauen, bis Mia errötete und ihre Nervosität unter einem Wortschwall kaschierte. »Sie wissen schon, so eine, die in der Mehrzweckhalle stattfindet, mit einer Kaufhaus-Band in blauen Smokings und ›Daddy's Little Girl‹-Songs.«
    Allie lachte. »Lassen Sie mich raten! Das Blumenmädchen trug einen kleinen festen Strauß aus winzigen rosa Nelken.«
    Mia schmunzelte. »Sie waren auch eingeladen?«
    Sie half Allie, die Sträuße ins Kühlregal zu heben, und deutete dann in die hintere Ecke des Ladens, wo unter den Trockenblumenringen, die Allie für herumstöbernde Kunden aufgehängt hatte, eine ganze Reihe von Kränzen Form annahm.
    Allie hielt den Atem an. Mia hatte die Raute sehr wohl entdeckt, doch auf die Glockenblumen und Allies übrige Vorschläge verzichtet. Und damit hatte sie absolut recht gehabt. Statt der traditionellen Art standen dort nebeneinander sechs Schleppgebinde, die eher auf eine Hochzeit als auf eine Beerdigung passen könnten. Schneeweiße Maiglöckchen, Orchideen und

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