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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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zu suchen hatte. Cams Finger bohrten sich fester in ihre Oberarme, dann spürte sie, wie er sie an seine Brust zog. Er streichelte ihr den Rücken, der sich dünnknochig und leicht anfühlte.
    »Es geht schon wieder«, sagte sie und zwängte die Hände zwischen ihre Leiber.
    Cam trat zurück, und Mia ließ sich auf die Bettkante sinken. »Wo ist Allie?«
    »Im Laden – macht Bonsais. Ich habe es ihr beigebracht.« Sie lauschte dem brüchigen, gestelzten Rhythmus ihrer Stimme und schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen. Es war ihr ein Rätsel, wieso sie nicht denken konnte und nur Stummelsätze zusammenbrachte.
    »Bonsais?« fragte Cam. »Sie machen Bonsais? Sie zwingen Bäume, so zu wachsen, wie Sie es gern hätten?«
    Mia versuchte zu lächeln. »Wahrscheinlich könnte man es so nennen.«
    Cam setzte sich neben sie. »Sie und ich, wir haben keine besonders gute Erfolgsbilanz«, stellte er fest.
    Mia schüttelte den Kopf. Cam beobachtete, wie sie sich niederbeugte, ein paar verstreute Fotos aufhob und sie wieder in die herzförmige gestreifte Schachtel zurücklegte, die Allie auf einem Flohmarkt gefunden hatte. »Was tun Sie hier?« fragte er.
    Sie spürte, wie die Röte zwischen ihren Brüsten nach oben kroch bis zu den Wangenknochen. Zu blöd. So etwas hatte sie nie zuvor getan – absichtlich die Intimsphäre anderer Menschen verletzt.
    Im Gegenteil, sie hatte schon sehr früh gelernt, mit dem Hintergrund zu verschmelzen; denn am ehesten gefiel sie ihren Eltern, indem sie unsichtbar für sie blieb. Mia hatte ihre Unaufdringlichkeit zur Kunst erhoben, was sie in späteren Jahren konsequenterweise zur Kunst des Bonsai führte; dort lieferten Zurückhaltung und Verschmelzung mit dem Hintergrund den Maßstab für Erfolg. Sie war es nicht gewöhnt, etwas anderes als eine Außenseiterin zu sein; war nie etwas anderes gewesen, bis die hektischen Ereignisse von gestern sie von ihrem Beobachterposten am Rande der Stadt mitten in Allie MacDonalds Welt katapultiert hatten.
    Und was die MacDonalds betraf, wurde ihr Interesse rasend schnell zur Besessenheit. Sie hatte ihren Wagen am Straßenrand geparkt, damit sie mehr Zeit zum Stöbern hätte; denn vermutlich würden sich die Nachbarn keine Gedanken machen, solange sie kein fremdes Auto in der Einfahrt sahen. Dann war sie ins Haus gegangen, um all die Lücken in dem Leben zu inspizieren, das Allie am Vormittag vor ihr ausgebreitet hatte. Um zehn Uhr wußte Mia, wie Allie und Cam sich kennengelernt hatten; um elf, wie die Tiere hießen, die Cam als Kind besessen hatte; um elf Uhr dreißig, daß die beiden traditionell den Valentinstag – Alptraum jeder Floristin – vorfeierten, wenn Allie noch nicht mit Arbeit zugeschüttet war.
    Dies sah sie seit zehn Jahren als ihre erste Chance, anderen Menschen näherzukommen, und Mia wollte ganz und gar in deren Dasein eintauchen. Deshalb war sie so besessen von Allie und Cam; zumindest versuchte sie sich das einzureden. Sie merkte nicht, daß sie viel ausgiebiger Cams Sachen betrachtete als Allies; daß sie volle fünf Minuten lang mit dem Finger das Monogramm auf seinem gebügelten weißen Ausgehhemd nachgefahren war. Sie merkte nicht, daß sie bei ihrer Wanderung von Raum zu Raum jene Plätze zu bestimmen suchte – die Vertiefung in einem Sessel, die Stelle vor einer Kommode –, an denen Cam sich aufgehalten haben könnte.
    Mia war ins Haus gekommen, um Kafka zu holen, aber vor allem wollte sie spionieren. Sie hatte die Bücher auf dem Nachttisch durchgeschaut – Allie bevorzugte Liebesgeschichten, Cam – zu ihrem Entsetzen – Gedichte; wie Goldlöckchen hatte sie sich auf allen sechs Polstern der Sitzgruppe im Wohnzimmer niedergelassen. Sogar einen Klecks von Cams Rasierschaum hatte sie auf ihren Unterarm gesprüht und daran geschnüffelt, um festzustellen, ob dies der Geruch war, der ihr schon den ganzen Vormittag nachhing. Und obwohl Mias empfindliche Ohren wahrnahmen, wie eine Fliege an einer Fensterscheibe vorbeiflog oder wie der Mond in der Nacht seine Position änderte, hatte sie sich derart in die Bestände des Schlafzimmers vertieft, daß sie schließlich auf frischer Tat ertappt wurde.
    Cam nahm ihr ein paar Fotos aus der Hand und hielt sie gegen das Licht. Mia sah ihn nicht an. »Sie haben mich erwischt«, sagte sie leise. »Ich habe herumgeschnüffelt.«
    Zu ihrer Überraschung begann Cam zu lachen. »Und?«
    Sie hob das Kinn und erkannte, daß sie jetzt tapfer sein mußte, sonst würde sie das hier nicht

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