In einer Winternacht
Cordelia nahm sie beiseite. »Wie geht es Stellinas Großtante?« fragte sie.
»Gar nicht gut«, flüsterte Mrs. Nuñez und schüttelte den Kopf. »Ich denke, daß sie noch vor Ende der Woche ins Krankenhaus muß.« Sie bekreuzigte sich rasch. »Wenigstens ist der Vater zurück. Aber ob das ein Grund zur Freude ist…« Sie schnaubte durch die Nase, was wohl besagen sollte, wieviel sie von Stellinas Vater hielt.
Nachdem Mrs. Nuñez und die Kinder fort waren, meinte Schwester Cordelia: »Die arme Kleine. Ihre Mutter hat sie schon als Baby im Stich gelassen. Sie wird die Großtante verlieren, die sie großgezogen hat, und ihr Vater scheint ständig verreist zu sein. Außerdem ist er, soweit ich es mitbekommen habe, ein Taugenichts.«
»Schlimmer als das«, wandte Schwester Maeve Marie ein. »Am Freitagabend wollte er Stellina abholen, aber sie war schon weg. Auf mich hat er keinen sehr guten Eindruck gemacht. Also habe ich mich bei den Jungs auf dem Revier nach ihm erkundigt.«
»Sie können wohl nicht von Ihrem alten Job lassen, Detective«, sagte Willy.
»Es kann nie schaden. Soweit ich gehört habe, steht Mr. Centino einiger Ärger ins Haus.«
»Das heißt, daß dieses liebe Kind bei einer Pflegefamilie oder sogar bei einer ganzen Reihe von Pflegefamilien landet«, seufzte Schwester Cordelia. »Und in ein paar Wochen können wir uns nicht mehr um sie kümmern. Nun gut, für heute reicht es. Geh nach Hause, Willy. Du warst ein Schatz. Am Freitag kannst du deinen Gehaltsscheck abholen.«
»Selten so gelacht.« Er grinste, obwohl er diesen Witz schon kannte. Draußen vor dem Gebäude blieben sie kurz auf dem Gehweg stehen. »Trinkt ein Glas Wein und erholt euch«, meinte Willy. »Ich würde euch ja zum Essen einladen, aber ich habe nicht mehr mit Alvirah gesprochen, seit sie mich heute mittag angerufen hat. Sie sagte, sie wolle sich auf die Suche nach einer Eigentumswohnung machen. Also weiß ich nicht, wann es Essen gibt.«
Cordelia sah ihn erstaunt an. »Soll das ein Scherz sein? Ich dachte, ihr mögt eure Wohnung. Alvirah sagt doch immer, daß sie nur über ihre Leiche dort ausziehen würde. Ist das mit der neuen Wohnung wirklich ihr Ernst?«
»Natürlich nicht«, beruhigte sie Willy. »Sie will nur das Maklerehepaar aushorchen, das Bessies Unterschrift unter dem Testament bezeugt hat. Sie hofft, daß sie dahinterkommt, was mit dem Testament nicht stimmt, wenn sie nur genug Zeit mit einem von beiden verbringt. Wie dem auch sei, ich gehe jetzt. Ihr Mädels habt das wirklich toll gemacht, das Krippenspiel wird eine Wucht. Ihr solltet den Bürgermeister einladen, damit er sieht, was für gute Arbeit ihr leistet.«
Doch auch dieses Kompliment konnte die beiden Nonnen nicht aufheitern. Und als Willy nach Hause kam, wurde er von einer ebenso besorgten Alvirah erwartet. »Ich habe mir die Füße wundgelaufen und mit Eileen Gordon eine Unmenge von Wohnungen besichtigt«, stöhnte sie.
»Hast du etwas erfahren?« fragte Willy.
»Sie ist eine sehr sympathische Frau, und ich würde mein Leben darauf verwetten, daß sie lieber verdursten würde, als auch nur einen Schluck Wasser zu trinken, der ihr nicht gehört.« »Das heißt, daß die Bakers sie und ihren Mann wahrscheinlich ebenfalls über den Tisch gezogen haben«, stellte Willy sachlich fest.
»Ja, aber ich hatte gehofft, sie würden sich auch als Betrüger entpuppen. Es ist viel leichter einen Verbrecher festzunageln als einen ehrlichen Menschen davon zu überzeugen, daß er übers Ohr gehauen worden ist«, seufzte Alvirah.
18
M
onsignore Thomas Ferris war vor vierzig Jahren gleich nach seiner Priesterweihe nach St. Clement gekommen. Sieben Jahre später war er in eine Pfarrei in der Bronx versetzt worden und hatte danach im Stab des Kardinals im Pfarramt der Kathedrale gedient. Vor zehn Jahren war er dann als Pfarrer nach St. Clement zurückgekehrt und beabsichtigte, den Rest
seines Priesterlebens dort zu verbringen. Er mußte sich eingestehen, daß St. Clement seine Heimat war, und er war sehr stolz auf die Kirche – ihre Geschichte und ihre wichtige Rolle im Leben der Gemeinde. Nur ein einziger Vorfall hatte seine Amtszeit überschattet und quälte ihn sieben Jahre später immer noch, und zwar der Diebstahl von Bischof Santoris Kelch.
»Ich mache mir solche Vorwürfe, weil es während meines Dienstes passiert ist«, pflegte er seinen Amtskollegen zu sagen, die wußten, wie schwer ihm der Verlust zu schaffen machte. »Ich hatte gehört, daß in jüngster Zeit
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