In einer Winternacht
häufig Einbrüche in Kirchen stattgefunden hatten, aber wir waren einfach zu unvorsichtig. Natürlich waren Fenster und Türen mit einer Alarmanlage gesichert, doch das reichte nicht. Wir hätten eine Überwachungskamera anbringen sollen. Ich hatte es mir fest vorgenommen, aber noch nicht die Zeit dafür gefunden.«
Der Schrein mit dem Kelch des Bischofs war zwar mit einem stillen Alarm ausgestattet gewesen, doch in diesem Fall hatte er nichts genutzt. Als die Polizei eintraf, war der Dieb mit dem Kelch bereits über alle Berge gewesen.
Besonders kurz vor Weihnachten litt Monsignore Tom unter der Erinnerung an das Verschwinden des Kelches, da er in der Adventszeit gestohlen worden war. Und obwohl er und seine Gemeinde ohnehin ständig darum beteten, der Kelch möge wieder aufgefunden werden, waren seine Gebete in diesem Jahr besonders inbrünstig.
Einige Menschen werden als Heilige geboren, davon war Tom Ferris felsenfest überzeugt. Er hatte schon immer daran geglaubt, daß Heilige von Geburt an über ein inneres Leuchten verfügten, das man spüren konnte. Er hatte Bischof Santori kurz vor dessen Tod kennengelernt. Bis zu seinem Ableben hatte der Bischof im Pfarrhaus von St. Clement gewohnt.
Der Mann verbreitete eine Aura von Heiligkeit, dachte Ferris. Dieselbe Aura, die auch Kardinal Cooke besaß.
Als der Monsignore am Montagabend die Kirche abschloß, kam er am Beichtstuhl vorbei. Gewiß hatte sich der Dieb des Kelches damals dort versteckt. Und wenn er es lediglich auf den Diamanten abgesehen gehabt hatte, konnte man nur hoffen, daß der Kelch selbst nicht im Müll gelandet war.
Eigentlich glaubte der Monsignore nicht, daß der Kelch vernichtet worden war. In letzter Zeit kam ihm immer öfter der merkwürdige Gedanke, der Kelch sei gestohlen worden, weil er anderswo gebraucht wurde – und erfülle nun fern von St. Clement eine wichtige Aufgabe.
Als er die Kirche verließ und die Tür hinter sich abschloß, blickte er unwillkürlich zur anderen Straßenseite hinüber. Ob die geheimnisvolle junge Frau wohl wieder dort stand? Er war fast enttäuscht, als er sah, daß sie nicht gekommen war, und hoffte, sie dennoch wiederzusehen. Schon oft hatte er erlebt, daß Menschen um die Kirche herumstrichen und nicht wagten, sich ihm anzuvertrauen. Doch irgendwann nahmen sie dann meistens doch ihren Mut zusammen und sprachen ihn an. »Monsignore, ich brauche Hilfe«, sagten sie für gewöhnlich.
Die Haushälterin hatte ihm das Abendessen ins Backrohr gestellt. Der Kaplan hatte heute abend frei, und so gönnte sich Tom Ferris den Luxus, ungestört zu lesen, während er sein einfaches Mahl verzehrte und dazu ein Glas Wein trank. Nach dem Essen hielt er das Geschirr unter fließendes Wasser, stellte es ordentlich in die Spülmaschine und erinnerte sich ein wenig belustigt an die gute alte Zeit. Damals war der Pfarrer – von seinen sechs oder sieben Kaplänen »Chef« genannt – der absolute Herrscher über das Pfarrhaus gewesen. Und außerdem stand ihm eine Haushälterin zur Verfügung, die eine ausgezeichnete Köchin war und dreimal täglich köstliche Mahlzeiten servierte.
Er trank gerade seinen Kaffee, als ein Anruf von Alvirah seinem ruhigen Abend ein Ende bereitete. »Monsignore Tom«, sagte sie. »Eine Freundin von mir hat ein Problem. Ich glaube, mir ist schon eine Lösung eingefallen, aber ich muß mit Ihnen darüber reden. Wissen Sie, ich schreibe einen Artikel über eine junge Frau, die vor sieben Jahren ein Kind zur Welt gebracht und es auf den Stufen eines Pfarrhauses ausgesetzt hat.« Sie hielt inne. »Und ich erzähle Ihnen das, weil es sich um Ihr Pfarrhaus handelte.«
»Alvirah, so etwas ist hier nie vorgefallen!«
»Doch, das ist es. Aber Sie haben es nie erfahren. Ich bin überzeugt, daß es so gewesen ist. Wie dem auch sei, mein Redakteur möchte die Geschichte auf der Titelseite bringen, und da wir den Namen der Mutter nicht nennen dürfen, würde ich mich freuen, wenn ich Ihre Telefonnummer angeben könnte. Schließlich war es Ihr Pfarrhaus. Ich werde für Informationen über das Baby eine hohe Belohnung anbieten. Sie müssen nur die eingehenden Anrufe beantworten.«
»Nun aber mal langsam, Alvirah.«
»Die Sache ist eilig, denn der Zeitpunkt eignet sich vorzüglich für die Veröffentlichung einer solchen Geschichte. Erstens interessieren sich die Leute zur Weihnachtszeit eher für Geschichten, die zu Herzen gehen, und zweitens ist das Kind letzte Woche sieben geworden. Ich muß wissen, ob
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