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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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durfte, um sein Ödem nicht zu verschlimmern, mußte Beidleman den siechen Sherpa an mehreren Stellen auf den Rücken nehmen. Als sie im Basislager ankamen, war es bereits Mitternacht.
    Am nächsten Morgen, Dienstag, erwog Fischer, einen Hubschrauber anzufordern und Ngawang aus dem Basislager nach Katmandu zu evakuieren. Die Aktion hätte um die 5000 –10000 Dollar gekostet. Aber sowohl Fischer als auch Dr. Hunt waren zuversichtlich, daß sich der Zustand des Sherpas nun, da er sich 1100 Meter unterhalb von Camp Zwei befand, rasch bessern würde – ein Abstieg von nur 1000 Metern ist normalerweise ausreichend für eine vollständige Genesung von HAPE. Letztlich wurde Ngawang anstatt auf dem Luftweg zu Fuß das Tal hinuntergebracht. Gleich unterhalb des Basislagers brach er jedoch zusammen und mußte zur medizinischen Betreuung ins Mountain-Madness-Lager zurückgebracht werden, wo sich sein Zustand kontinuierlich verschlechterte. Hunt wollte ihn wieder in einen Gamow-Sack stecken; Ngawang weigerte sich und behauptete beharrlich, weder an HAPE noch irgendeiner anderen Höhenkrankheit zu leiden.
    Über Funk erging ein Notruf an den amerikanischen Arzt Jim Litch – einen hochangesehenen Spezialisten für Höhenkrankheiten, der in jenem Frühling die Klinik der himalajischen Rettungsorganisation in Pheriche leitete – mit der Bitte, so schnell wie möglich ins Basislager zu eilen, um bei Ngawangs Behandlung zu helfen.
    Fischer war inzwischen nach Camp Zwei aufgebrochen, um Tim Madsen herunterzuholen. Madsen war durch Ngawangs Bergung durch das Western Cwm völlig erschöpft, und er litt nun selbst an einem leichten Fall von HAPE. Ingrid Hunt beratschlagte sich unterdessen mit den anderen Ärzten im Basislager. Letztlich war sie jedoch allein verantwortlich und geriet bei einigen kritischen Entscheidungen, die sie zu treffen hatte, »ganz schön ins Schwimmen«, wie einer ihrer Kollegen bemerkte.
    Hunt, Mitte Zwanzig und selbst keine Bergsteigerin, hatte gerade ihr praktisches Jahr als Allgemeinärztin hinter sich gebracht. Darüber hinaus hatte sie auf freiwilliger Basis längere Zeit medizinische Entwicklungshilfe im Vorgebirge Ostnepals geleistet, war jedoch in Sachen Höhenkrankheiten völlig unerfahren. Sie hatte Fischer zufällig ein paar Monate zuvor in Katmandu kennengelernt, als er sich seine Everest-Genehmigung ausstellen ließ. Er lud sie daraufhin ein, bei seiner bevorstehenden Expedition in der Doppelrolle als Teamärztin und Leiterin des Basislagers dabeizusein.
    Obwohl sie Fischer gegenüber im Januar in einem Brief ihre zwiespältigen Gefühle über das Angebot ausdrückte, nahm sie den unbezahlten Job an und kam Ende März in Nepal an. Sie stürzte sich mit großem Eifer in die Arbeit, wollte alles tun, um
    ihren Beitrag zum Erfolg der Expedition zu leisten. Aber als Basislagerleiterin füngieren zu müssen und gleichzeitig für die medizinische Versorgung von fünfundzwanzig Menschen verantwortlich zu sein, stellte sich als eine Doppelbelastung heraus, mit der sie so nicht gerechnet hatte. (Rob Hall dagegen hatte für den gleichen Aufgabenbereich zwei Leute eingestellt – Teamärztin Caroline Mackenzie und Basislagerleiterin Helen Wilton –, die bei voller Bezahlung das leisteten, was Hunt allein unbezahlt zu bewältigen hatte.) Zu allem Übel hatte Hunt Schwierigkeiten, sich zu akklimatisieren, und litt fast permanent unter schweren Kopfschmerzen und Atembeschwerden.
    Nachdem Ngawang am Dienstagmorgen auf dem Abstieg durchs Tal zusammengebrochen und ins Basislager zurückgebracht worden war, wurde er trotz seines sich verschlechternden Zustands nicht wieder an die Sauerstoff-Flasche gehängt. Das lag zum Teil daran, daß er weiter steif und fest behauptete, nicht krank zu sein. Abends um sieben kam Dr. Litch aus Pheriche herbeigeeilt und riet Hunt mit allem Nachdruck dazu, Ngawang soviel Sauerstoff wie möglich zukommen zu lassen und dann einen Hubschrauber anzufordern.
    Ngawangs Zustand hatte sich inzwischen so weit verschlechtert, daß er immer wieder das Bewußtsein verlor und kaum noch atmen konnte. Die Evakuierung mit dem Hubschrauber wurde für Mittwoch morgen, den 24. April, angesetzt. Wolken und Schneefälle verhinderten jedoch einen Start, und Ngawang wurde schließlich in einen Korb gepackt und auf dem Rücken von Sherpas über den Gletscher nach Pheriche hinuntergetragen.
    An jenem Nachmittag war Halls sorgenvollem Blick anzusehen, wie schlecht es um Ngawang stand. »Ngawang hat's übel

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