In eisige Höhen
bei 7300 Metern über dem Meeresspiegel übernachten.
Rob hatte uns angewiesen, um Punkt 4 Uhr 45 aufbruchfertig zu sein – folglich in fünfundvierzig Minuten –, was mir gerade
genügend Zeit ließ, mich anzuziehen, einen Schokoriegel und ein wenig Tee hinunterzuwürgen und die Steigeisen anzuschnallen. Ich richtete meine Stirnlampe auf ein Discountmarkt-Thermometer, das an meinem Parka festgeklammert war, den ich immer als Kopfkissen benutzte. In dem beengten Zwei-Personen-Zelt hatte es minus zweiundzwanzig Grad. »Doug!« rief ich den unförmigen Haufen im Schlafsack neben mir an. »Komm, es wird Zeit, Junge. Bist du wach?«
»Wach?« krächzte er schlaff. »Wie kommst du darauf, daß ich auch nur eine Minute geschlafen habe? Ich fühl mich beschissen. Ich glaub, ich hab's irgendwie im Hals. Mann, ich werd langsam zu alt für solche Sachen.«
In der Nacht waren unsere übelriechenden Ausdünstungen kondensiert und hingen nun in Form einer zarten Rauhreifschicht vom Zeltstoff herab. Als ich mich aufrichtete und im Dunkeln nach meinen Kleidern wühlte, war es praktisch unmöglich, nicht die niedrigen Nylonwände zu streifen, was unfehlbar jedesmal eine Art Schneesturm im Zelt auslöste und alles mit Eiskristallen bedeckte. Bibbernd vor Kälte schlüpfte ich in drei Schichten flaumiger Polyproylen-Unterwäsche und einer äußeren Schicht aus windfestem Nylon, zog die Reißverschlüsse zu und stieg in meine klobigen Plastikstiefel. Das Binden der Schnüre ließ mich vor Schmerz zusammenzucken. Meine aufgesprungenen, blutenden Fingerkuppen waren in den letzten zwei Wochen in der kalten Luft immer schlimmer geworden.
Ich stapfte mit eingeschalteter Stirnlampe hinter Rob und Frank aus dem Lager und schlängelte mich zwischen Eistürmen und Felsschutthaufen zum Hauptabschnitt des Gletschers vor. Die folgenden zwei Stunden stiegen wir einen nur leicht geneigten Abhang hoch, der auch für Skischüler geeignet gewesen wäre. Schließlich erreichten wir den Bergschrund, der das obere Ende des Khumbu-Gletschers markierte. Direkt darüber erhob sich die Lhotse-Flanke wie ein riesiger, gekippter Eissee, der in dem schrägen Morgenlicht wie schmutziger Chrom schimmerte. Aus der Unermeßlichkeit des Eises, wie vom Himmel baumelnd, schlängelte sich ein einsames, neun Millimeter dickes Seil hinab. Ich hob es an seinem Ende auf, fädelte das ein wenig fransige Seil in meinen Jumar 24 ein und fing an zu klettern.
Die Kälte setzte mir ziemlich zu. Ich hatte mich diesmal nicht ganz so dick eingepackt, da ich den allmorgendlichen Solarofen-Effekt fürchtete, wenn die Sonne auf das Western Cwm knallte. Aber an diesem Morgen wurde die Temperatur von einem schneidenden Wind in Schach gehalten, der vom oberen Teil des Berges hinuntergefegt kam und eine Lufttemperatur von vielleicht minus vierzig Grad hatte. Im Rucksack steckte mein Überzieher aus Fell, aber um ihn anzuziehen, hätte ich erst die Handschuhe ausziehen, dann den Rucksack abnehmen und schließlich die Windjacke abstreifen müssen, alles, während ich am Fixseil baumelte. Aus Angst, irgend etwas fallen zu lassen, beschloß ich, damit zu warten, bis ich einen weniger steilen Abschnitt der Wand erreicht hätte, auf dem man ohne Seil halbwegs stehen konnte. Ich kletterte also weiter und fror immer mehr.
Der Wind wirbelte ganze Wellenschläge von Pulverschnee auf, die den Berg wie eine Meeresbrandung hinunterrollten und mich von oben bis unten mit Reif vollklatschten. Auf den Gläsern meiner Schneebrille bildete sich eine hartgefrorene Eiskruste, die mir die Sicht raubte. Meine Füße wurden allmählich taub. Meine Finger waren wie Holz. Unter diesen Bedingungen weiter nach oben zu steigen schien mit jedem Meter gefährlicher. Ich befand mich am Anfang unseres Zuges, bei 7.000 Metern, etwa fünfzehn Minuten vor Mike Groom, einem der Bergführer. Ich beschloß, auf ihn zu warten und die Sache mit ihm zu besprechen. Kurz bevor er jedoch zu mir aufschloß, hörte ich Robs energische Stimme aus dem Funkgerät in Mikes Jacke. Er hielt an, um zu antworten. »Rob will, daß alle umkehren!« rief er laut gegen den Wind. »Bloß weg hier!«
Erst gegen Mittag waren wir wieder in Camp Zwei und machten Schadensinventur. Ich war erschöpft, aber ansonsten okay. John Taske, der australische Arzt, hatte leichte Erfrierungserscheinungen an den Fingerkuppen davongetragen. Doug dagegen war schlimmer dran. Als er die Stiefel auszog, mußte er feststellen, daß er sich an mehreren Zehen
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