In eisige Höhen
Frostbrand im Anfangsstadium zugezogen hatte. Bereits 1995 hatte er auf dem Everest Erfrierungen dritten Grades am großen Zeh erlitten und Gewebe verloren. Die Durchblutung war dadurch chronisch beeinträchtigt worden, was ihn besonders kälteempfindlich machte. Nun war er durch diesen neuerlichen Frostbrand noch anfälliger für die grausam harten Bedingungen auf dem oberen Teil des Berges.
Noch weit schlimmer war jedoch Dougs Erkrankung der Atemwege. Knapp zwei Wochen vor seiner Abreise nach Nepal hatte er sich noch einer kleineren Halsoperation unterzogen, die seine Luftröhre in einem extrem empfindlichen Zustand hinterlassen hatte. Heute morgen hatte er durch die schneidend kalte, von Schneepartikeln durchsetzte Luft anscheinend Erfrierungen am Kehlkopf erlitten. »Das war's dann wohl, Scheiße noch mal«, krächzte er mit kaum hörbarer Flüsterstimme. Er wirkte am Boden zerstört. »Ich kann nicht einmal mehr sprechen. Die Besteigung ist für mich gelaufen.«
»Jetzt schreib dich nicht gleich ab, Doug«, meinte Rob. »Warte erst mal ab, wie's dir in ein paar Tagen geht. Du bist 'n zäher Hund. Der Gipfel ist für dich immer noch gut drin, wenn du erst einmal wieder auf dem Damm bist, ich sag's dir.« Doug verschwand wenig überzeugt in unserem Zelt und zog sich den Schlafsack über den Kopf. Es war schon hart, ihn so entmutigt zu sehen. Er war zu einem guten Freund geworden, der all die wertvollen Erfahrungen, die er bei seinem gescheiterten Besteigungsversuch von 1995 gesammelt hatte, freigebig mit den
anderen teilte. Um meinen Hals trug ich einen Xi-Stein – ein heiliges buddhistisches Amulett, von dem Lama des Klosters in Pangboche gesegnet-, den Doug mir zu Beginn der Expedition geschenkt hatte. Ich wünschte ihm beinahe ebensosehr wie mir selbst, daß er den Gipfel erreichte.
Das Team war geschockt, und für den Rest des Tages lag ein Gefühl der Niedergeschlagenheit über dem Lager. Der Berg hatte uns in die Flucht geschlagen, ohne uns überhaupt all den Schrecken spüren zu lassen, zu dem er fähig war. Und es war nicht nur unser Team, das verunsichert und nachdenklich gestimmt war. Die Moral mehrerer Expeditionen auf Camp Zwei war schwer angeknackst.
Die schlechte Stimmung zeigte sich am deutlichsten an dem Streit, der zwischen Hall und den Leitern des taiwanesischen und südafrikanischen Teams ausbrach. Zankapfel war eine Meile an Seil, mit der in gemeinsamer Arbeit die Route über die Lhotse-Flanke gesichert werden sollte. Ende April war bereits die untere Hälfte der Wand zwischen dem oberen Teil des Cwm und Camp Drei mit Seilen versehen worden. Um die Arbeit abzuschließen, hatten Hall, Fischer, Ian Woodall, Makalu Gau und Todd Burleson (der amerikanische Leiter und Bergführer der Alpine Ascents Expedition) sich darauf geeinigt, am 26. April je ein oder zwei Leute abzustellen, um auch den Rest der Wand zwischen Camp Drei und dem 7.900 Meter hohen Camp Vier mit Seilen zu sichern. Es kam jedoch anders als geplant.
Als am Morgen des 26. April Ang Dorje und Lhakpa Chhiri aus Halls Team, Bergführer Anatoli Boukreev aus Fischers Team und ein Sherpa aus Burlesons Team von Camp Zwei aufbrachen, blieben die Sherpas des taiwanesischen und südafrikanischen Teams in ihren Schlafsäcken liegen und weigerten sich, mitzugehen. Als Hall am Nachmittag in Camp Zwei ankam und davon erfuhr, schnappte er sich sofort das Funkgerät, um herauszufinden, was schiefgelaufen war. Kami Dorje Sherpa, der Sirdar des taiwanesischen Teams, entschuldigte sich vielmals und versprach, die Sache wiedergutzumachen. Aber als
Hall Woodall ans Funkgerät kommen ließ, reagierte der südafrikanische Leiter verstockt und warf Hall einen ganzen Schwall von Obszönitäten und Beleidigungen an den Kopf.
»Jetzt laß uns hier mal nicht unsere guten Manieren vergessen, Junge«, bat Hall. »Ich dachte, wir hätten eine Abmachung.« Woodall antwortete, daß seine Sherpas in den Zelten geblieben seien, weil niemand vorbeigekommen wäre, um sie zu wecken und sie wissen zu lassen, daß sie gebraucht würden. Hall konterte darauf scharf, daß Ang Dorje sehr wohl wiederholt versucht habe, sie aus den Federn zu holen, sie ihn aber einfach ignoriert hätten.
Daraufhin tönte Woodall: »Entweder sind Sie ein verdammter Lügner oder Ihr Sherpa.« Dann drohte er noch, ein paar Sherpas seines Teams rüberzuschicken, um Ang Dorje »mal kräftig Bescheid zu stoßen«.
Zwei Tage nach diesem ziemlich unerfreulichen Wortwechsel herrschte zwischen
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