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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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gerade.
    Jemand brachte ihre nur halb gefüllten Satteltaschen und half dabei, sie auf den Gepäckträger zu klemmen. Die andere Hälfte ihrer Sachen, was noch davon übrig war, füllte die Plastiktüte. Zelt, Isomatte und Schlafsack waren zu wulstigen Päckchen zusammengerollt worden. Nelli verspürte das Bedürfnis, die Sachen noch mal auseinanderzunehmen und raumsparender zu falten, aber die Leute waren so lieb, sie begannen schon damit, die Pakete irgendwie am Fahrrad zu befestigen.
    So lieb und doch so durchtrieben. Nicht wenige der Helfer hatten sich heimlich und mit verstohlenen Blicken in ihre Richtung Schnipsel ihres Tagebuches in die Taschen gestopft oder unter Hemden und Jacken geschoben.
    „Sie sind diese Nelli Prenz, oder?“, fragte wie zur Bestätigung einer der Diebe, und in seinen Augen leuchtete die Gier nach einem Ja und damit der Bestätigung, ein Original-Souvenir ergattert zu haben.
    „Ja.“
    „Was machen Sie denn wieder hier? Und was ist passiert?“
    „Hat das was mit diesem Andi zu tun?“
    „Stimmt das Gerücht, dass er noch lebt?“
    „Oder gehört das alles bloß zur Gletschertour?“
    „So wie die ausschaut, ist das keine Show“, murmelte einer hinter ihr.
    Nelli war in Gedanken noch mit der Frage beschäftigt, ob es einen Sinn hatte, die gestohlenen Fetzen ihres Tagebuches zurückzufordern. Ob sie die Kraft hatte für eine Auseinandersetzung. Ob das Tagebuch überhaupt noch eine Bedeutung für sie hatte.
    „Meine Herrschaften, wir müssen jetzt dringend mit der Tour weitermachen, sonst gerät der ganze Zeitplan aus den Fugen“, rief die Führerin und wandte sich schnell noch an Nelli: „Kommen Sie wirklich zurecht?“
    „Ja, geht schon. Aber ich müsste telefonieren. Hat jemand mein Handy gefunden?“
    „In dem Müllsack sind die Reste davon“, meldete sich ein junger Mann. „Sah aus wie voll gegen die Felswand geschleudert, da war nichts mehr zu retten.“
    Nelli nickte und ließ sich den Müllsack geben. Den würde sie noch mal gründlich durchsuchen, wenn sie allein war.
    „Vielen Dank euch allen“, rief sie so laut und kraftvoll wie möglich, um sich auch selbst davon zu überzeugen, dass sie keiner weiteren Hilfe bedurfte.
    „Also bitte, meine Herrschaften, zurück zum Lkw und dann weiter zum Gletscher“, rief die Führerin. Zu Nelli raunte sie: „Wir haben ein Satellitentelefon im Haus. Es zu benutzen ist zwar sehr teuer, aber in Ihrer Lage lässt Sie Herr Wächter bestimmt einen Anruf machen.“
    „Danke“, sagte Nelli und ließ die Gruppe ziehen. Sie wollte sich selbst noch mal in Ruhe auf dem Schlachtfeld umschauen, bevor sie es verließ. Nach Hinweisen auf den Täter Ausschau zu halten, auf die Idee war sie noch gar nicht gekommen.
     
    Natürlich fand sie keine Spuren. Aber sie fand eine Art Sinn in dem Massaker, als sie da so herumhinkte und den Geröllboden absuchte – eine verdrehte und doch wirkungsvolle Weise, diesen Niederschlag verdauen und wieder aufstehen zu können: Sie hatte es wohl so verdient. Denn sie hatte es schon wieder tun wollen.
    Am gestrigen Nachmittag schon und dann endgültig abends beim Zeltaufbau hatte die den Entschluss gefasst, zu verschwinden. Noch mal den Gletscher sehen und dann wieder in die Welt hinaus. Nach Süden, wenn sie schon mal so weit südlich war. Sie würde auch mit wenig Geld zurechtkommen, konnte unterwegs jobben, sich irgendwie über Wasser halten. Und alles, was hier war, sich selbst überlassen.
    Allem davonlaufen, fliehen, sich davonstehlen – das wäre dieses Mal freilich weitaus schlimmer gewesen als damals vor sieben Jahren. Denn dieses Mal hätte sie Monika nicht einfach nur sich selbst überlassen, sondern sie mit einem Verrückten zurückgelassen, der Drohbriefe schrieb und auch mit aller Brutalität fähig war, die Drohungen in die Tat umzusetzen. Sie durfte sich jetzt nicht davonmachen. Sie musste den Mistkerl finden und ihn aus ihrem Leben tilgen.
     
    Auf halbem Weg zum Haus holte der Laster sie ein. Sie hatte beschlossen, den Platten und den Achter erst an der Straße zu reparieren. Auf dem Geröllweg war ohnehin nicht gut fahren.
    Ihr Zustand war noch labil, aber ihre Kräfte kamen schnell zurück.
    Was nicht kam, waren Pläne und Lösungen. Nicht fliehen, hier bleiben, den Verrückten suchen, das klang alles sehr entschlossen, aber zog schier unüberwindliche Probleme nach sich. Erstens sah sie aus und fühlte sich wie durch die Wurstmaschine gedreht. Zweitens hatte sie kein Geld, keinen

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