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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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ihr Tagebuch schnappte und aus der Satteltasche zog.
    „Steht wahrscheinlich alles da drin?“, fragte er gedankenverloren.
    Nelli hörte auf zu schrauben und starrte ihn an.
    „Bitte steck das wieder zurück.“
    Er schaute sie an, bewundernd, fast unterwürfig.
    „Ob ich wohl mal drin lesen dürfte?“
    Nelli schüttelte den Kopf und stand auf.
    „Nein. Versteh das nicht falsch, aber das ist ein Tagebuch, okay? Da schreibt man Sachen rein, die man der besten Freundin nicht erzählen würde.“
    Er nickte.
    „Schon klar. Ich versteh das.“
    „Okay.“
    Er behielt das Buch weiter in der Hand und betrachtete den Umschlag.
    „Und wenn du mir draus vorliest? Dann kannst du die privaten Stellen überspringen.“
    „Ehrlich gesagt, Andi, ich wüsste da gar nicht, wo ich anfangen sollte.“
    Er nickte versonnen.
    „Hmhm, schon klar. Ich versteh das.“
    Die Art, wie er Verständnis vorgab, aber stocksteif verharrte, gefiel ihr gar nicht.
    „Ich hätte auch viel zu erzählen“, murmelte er. „Ich bin zwar immer nur hier oben gewesen, aber dafür ist die Welt an mir vorbeigezogen. Du glaubst nicht, was hier für Leute absteigen, also Typen waren das zu Teil.“
    Er grinste, hob die Augenbrauen und nickte ihr verschwörerisch zu.
    „So was wie du zum Beispiel. Wie du da heute Früh aufgetaucht bist in meiner Wirtsstube, überall Schürfwunden, voll verdreckt und am Ende deiner Kräfte, ich bin echt erschrocken. Aber dann dieser Kampfgeist, ich meine – hoho! Du hast’s mir ganz schön gegeben.“
    „Ich war nicht am Ende meiner Kräfte. Ich war nur in Sorge wegen meiner Sachen. Und wenn ich dir irgendwie...“
    „Ach was, nein, das war sogar irgendwie aufregend. Der freundliche Wirt hat mir mein Fahrrad geklaut, hast du gesagt. Vor meinen Gästen.“
    „Das war nicht richtig von mir, und es tut mir leid. Ich stand unter Stress. Ich weiß doch, dass du mir sehr geholfen hast.“
    „Ja“, sagte er gedehnt und aus der Kehle heraus, „hab ich doch gern gemacht.“
    „Ich weiß, und deshalb...“
    „Aber vielleicht dürfte ich dich jetzt um einen Gefallen bitten. Du musst natürlich nicht, wenn du nicht willst.“
    „Was ist es denn?“
    „Och, ist nur ein ganz kleiner Gefallen. Kostet dich nichts und tut auch nicht weh.“
    Er stand breitbeinig vor ihr, hielt ihr Tagebuch mit beiden Händen umklammert und grinste verlegen.
    Ich habe ganz schlechte Karten, dachte Nelli, verdammt schlechte Karten. Ich muss zusehen, wenigstens das Fahrrad flott zu kriegen.
    So beiläufig wie möglich ging sie wieder in die Hocke, entfernte die gelösten Muttern und zog das Rad von der Gabel. Sie zwang sich, dabei zu lächeln und Blickkontakt zu halten.
    „Dann raus damit, Andi, ich freu mich natürlich, wenn ich mich revanchieren kann.“
    „Das kannst du, ja.“
    Sein Herumdrucksen kam ihr gelegen. Noch drei Minuten. Sie schob den Schraubenschlüssel zwischen Rad und Reifen, hebelte den Reifen über die Felge und legte den Schlauch frei.
    „Also, ich hätte einfach gern, dass du mir von deiner Reise erzählst. Was dich bewogen hat, aufzubrechen, und ob du neue Seiten an dir entdeckt hast und so.“
    Sie nickte lächelnd und zog den Schlauch aus dem Reifen.
    „Auf jeden Fall, ich hab mich sogar total verändert. Ehrlich gesagt, ich frag mich, ob ich nach sieben Jahren auf der Straße wieder in ein normales Leben finden kann und ob ich das überhaupt will.“
    Sie zog die Luftpumpe aus einer der Packtaschen und pumpte den Schlauch auf.
    „Wieso?“, fragte Andi und sah ihr interessiert zu. „Wie sind denn so deine Pläne?“
    „Plänemachen hab ich, glaub ich, verlernt. Ich bin zwar auf dem Heimweg, aber könnte sein, dass ich kurz vorm Ziel wieder umkehre und, was weiß ich...“
    Sie machte eine ausholende Bewegung mit der Luftpumpe.
    „...mich diesmal Richtung Russland davonmache.“
    „Du hast dich also davongemacht, interessant.“
    Der Schlauch war prall aufgepumpt, und Nelli zog ihn Zentimeter für Zentimeter an ihrem Ohr vorbei. Sie schielte zu ihm hoch.
    „Das war nur so dahingesagt.“
    „Warum willst du überhaupt wieder zurück nach sieben Jahren?“
    „Ich habe eine Tochter, die...“
    Nelli hielt inne. Luft pfiff ihr ins Ohr. Sie hatte die Stelle.
    „Eine Tochter, die...?“, fragte Andi interessiert.
    „Ach, nichts weiter, ich habe einfach nur eine Tochter, die ich gerne sehen würde. Sie ist seit kurzem volljährig.“
    Nelli zog ein Stück spezieller Speck-Kreide aus ihrer Flickzeug-Schachtel

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