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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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besser aufgehoben wären? Sie haben eine Mutter, sie ist zwar eine Schlampe, aber es ist ihre leibliche Mutter. Manchmal ist sie sogar nüchtern, und auf ihre Weise liebt sie die beiden.«
    »Gehen Sie nach Hause, junge Frau«, sagte ein Milizionär in Zivil und warf seine Kippe weg.
    »Sie wollen also nicht überprüfen, was mit den Kindern ist?« Olga verstand selbst nicht, warum sie sich plötzlich so aufregte. »Was kostet es Sie denn, mal hochzugehen? Der Junge ist etwa vier und heißt Petja, das Mädchen, Ljuda, ist erst zwei.«
    »Ah ja, verstehe.« Der Leutnant nickte.
    Aus dem stinkenden Hauseingang drang Geschrei, zwei Milizionäre führten eine zerzauste dicke Frau in einer löchrigen Jacke und Trainingshosen heraus. Sie fluchte und kreischte. Die Milizionäre verfrachteten sie ins Auto. Olga blieb nichts weiter übrig, als nach Hause zu gehen.
    Natürlich war es unsinnig, sich in ein fremdes, schmutziges Leben einzumischen, den Milizionären auf den Geist zu gehen. Das war dumm und sinnlos. Die beiden Kinder, Petja und Ljuda, hatten ihr eigenes Schicksal. Auch Shenja Katschalowa hatte ihr Schicksal gehabt. Professor Guschtschenko war der Ansicht, dass zwischen Opfer und Mörder eine besondere energetische Verbindung existiere, und zwar schon lange bevor sie sich begegnen. Es ziehe sie zueinander, und daran könne man nichts ändern.
    Olga dachte plötzlich, wenn man das ernsthaft glaubte, müsse man doch verrückt werden. Sie hätte Guschtschenko gern gefragt, wie er mit diesem Gedanken leben und arbeiten konnte.

Einundzwanzigstes Kapitel
    Der alte Nikonow war in eine Box verlegt worden. An seiner Stelle lag im Nachbarbett nun ein fetter alter Debiler mit Weibergesicht, schmalen Hängeschultern und unglaublich breitem Becken. Der Debile hatte die Decke abgeworfen, Mark den Hintern zugewandt und startete einen regelrechten Gasangriff.
    Zumindest bin ich hier relativ sicher, tröstete sich Mark, der sich noch immer nicht die wichtigste Frage zu stellen wagte: Was weiter?
    Ihm war übel von dem Gestank, er konnte nicht einschlafen.
    Wenn er Schlafstörungen hatte, waren die Stunden vor dem Morgengrauen immer am schlimmsten. Die sterbende Nacht infizierte ihn mit Todesangst. Er war gerade mal vierzig, gesund und voller Kraft. Aber die Angst vor dem nahenden Alter, dem physischen Aus nahm ihm in schlaflosen Nächten vor dem Morgengrauen den Atem.
    Im Schlaf probt man den Tod. Schlaflosigkeit ist eine Probe dessen, was einen nach dem Tod erwartet. Wenn man schlaflos ist, versagt die Selbstrechtfertigung. Alles, was du getan hast, ob gestern oder vor zwanzig Jahren, siehst du in seiner ganzen Hässlichkeit vor dir, und du weißt nicht, wie du damit umgehen sollst, mit deinem Leben, mit dem unvermeidlich nahenden Tod, und was danach kommt.
    Früher einmal hatte er berühmt werden wollen. Er hielt sich wirklich für ein Genie und hasste die anderen, die seine Genialität nicht anerkennen wollten. Die Formel »sie sind bloß neidisch« spendete vorübergehenden Trost.
    Er trieb sich in der Szene herum, besuchte Nachtklubs, schnupfte Kokain. Weil er immer knapp bei Kasse war und das Geld nicht für die geliebte Droge reichte, gabelte er in der Szene hässliche Mädchen aus wohlhabenden Familien auf, spielte den Verliebten und ließ sich aushalten.
    Das Kokain machte ihn charmant, geistreich und ausdauernd. Er konnte die ganze Nacht Sex haben, wie ein Automat, und dann am Tag eine Erzählung schreiben, zutiefst davon überzeugt, dass er in beidem genial war.
    Ließ aber die Wirkung der Droge nach, kamen die Depressionen, eine tiefe, unermessliche Wehmut und Hass auf die Welt, die Menschen und sich selbst. Er hatte Halluzinationen, glaubte, eine unsichtbare, feindselige Person berühre ihn, und unter seiner Haut krabbelten Insekten.
    Einmal griff er nach einem Messer, um sich den Arm aufzuschlitzen und die widerlichen Parasiten zu entfernen. Der Schmerz und der Anblick des eigenen Blutes ernüchterten ihn – er begriff, dass es so nicht weitergehen konnte.
    Er schaffte es, vom Kokain wegzukommen, und schwor sich, nie wieder etwas zu nehmen.
    Aber ohne Drogen war die Depression ein Dauerzustand. Er brachte keine Zeile zustande. Menschen erregten in ihm Übelkeit, er fand sie alle hässlich, er wollte allein sein. Doch allein mit sich selbst fiel er in schwarze Ödnis. Er brauchte eine ständige äußere Bestätigung seiner Existenz in Zeit und Raum.
    Mark Moloch langweilte sich immer und überall.
    Er zweifelte nicht

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