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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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gehabt. Er war entweder mit seinem Geschäft befasst gewesen oder hatte aktiv entspannt, in Nachtklubs oder im Kasino.
    Er kannte alle guten Moskauer Restaurants, streifte gern durch teure Geschäfte, und wenn er dort etwas kaufte, empfand er eine beinahe erotische Befriedigung. Er hatte ein Ziel, sogar mehrere Ziele: Eine Rolex aus Platin, ein Mercedes-Kabriolett, eine Wohnung im Zentrum, ein Haus an der Rubljowka. Das würde ihn ein wenig mit der Ungerechtigkeit und Scheußlichkeit der Welt versöhnen. Vorerst tröstete er sich mit einer bescheidenen Seiko, drei Mietwohnungen und einem alten VW; und seine Kleidung erwarb er ausschließlich im Ausverkauf.
     
    Zu Hause wurde Olga von ihrem düsteren, gekränkten Mann empfangen. Andrej hatte kein Fieber, aber einen geröteten Hals. Katja schlief schon. Olga brachte ihrem Sohn Kamillentee ans Bett und setzte sich zu ihm.
    »Mama, kann ich morgen zu Hause bleiben?«, fragte Andrej.
    »Ja, von mir aus.«
    »Wie war die Sendung?«, fragte Alexander, als sie in die Küche kam, um eine Zigarette zu rauchen.
    »Ganz in Ordnung. Morgen Abend können wir uns ansehen, wie’s geworden ist.«
    »Warum machst du das, Olga?«
    »Was?«
    »Diesen ganzen Dreck. Psychopathen, mit Babyöl übergossene Leichen, Kinderpornos.«
    »Ich habe keine Ruhe, bis Moloch gefasst ist, ich muss ständig daran denken.« Sie hatte keine Kraft zu reden, etwas zu erklären.
    »Wirst du wieder mit Solowjow zusammenarbeiten?«
    »Ich weiß nicht.«
    Eine Weile saßen sie schweigend zusammen, ohne sich anzuschauen. Dann stand Alexander auf und ging hinaus.
    Die Linie zwischen den beiden Zeitpunkten existierte doch, Olga spürte, wie das imaginäre Seil in die Fußsohlen schnitt. Wieder lief sie zurück zu sich selbst vor zwanzig Jahren.
     
    Vor zwanzig Jahren hatte sich Olga mit Dima Solowjow auf dem Hof ihres Hauses getroffen. Sie hatten sich seit dem März nicht gesehen. Nun hatte er angerufen und erklärt, er müsse mit ihr reden. Sie wusste: Das war das letzte Mal. Sie hatte sich entschieden und glaubte, richtig und vernünftig zu handeln.
    Zu Hause in ihrem Kleiderschrank wartete ein Hochzeitskleid, das aussah wie aus Schaum. Sie heiratete Filippow, den zuverlässigen, häuslichen Alexander. Auch er wartete zu Hause, er trank in der Küche mit ihren Eltern Tee. Dimahatte aus einer Telefonzelle angerufen und sie gebeten, auf den Hof zu kommen. Die drei am Küchentisch waren voller Verständnis. Natürlich, Olga, geh ruhig und rede mit ihm, verabschiede dich vernünftig von ihm.
    Ja, sie und Dima mussten miteinander reden. Aber sie sagten kein Wort, begrüßten sich nicht einmal. Sie küssten sich wie wahnsinnig. Sie standen im warmen Regen am kaputten Zaun. Dann rissen sie sich voneinander los, sie lief weg, und er rief sie nicht zurück. Oder er tat es doch, aber der Regen rauschte zu laut, und sie hörte es nicht.
     
    Das Küchenfenster war offen, der Regen trommelte auf das Fensterbrett, und Olga fröstelte.
    Während der Jagd auf Moloch hatte Professor Guschtschenko einmal gesagt, kindliche Ängste und seelische Traumata seien die Hauptursache für sexuelle Pathologien.
    »Moloch hat ein ganz anderes Problem«, hatte Olga ihm widersprochen. Seine Mutter hat ihn abgöttisch geliebt, wahrscheinlich hatte er außerdem eine liebe Großmutter. Aber ein Mädchen hat ihn ausgelacht, weil er impotent war. Dafür hat er sie getötet. Permanenter traumatisierender Faktor waren nicht äußere Umstände, sondern seine eigene physische Unzulänglichkeit.«
    Guschtschenko war wütend geworden und hatte geschrien: »Woher willst du das wissen? Was redest du da für einen Blödsinn?«
    Normalerweise tolerierte Guschtschenko andere Meinungen, hier aber war er ausgerastet. Sein Gesicht wurde dunkelrot, die Adern auf seiner Stirn schwollen an. Einen Augenblick lang fürchtete Olga, er würde sich gleich mit Fäusten auf sie stürzen, und ihr wurde ein wenig mulmig, weil sie allein im Zimmer waren. Doch er war hinausgerannt und hatte die Tür zugeknallt.
    Am nächsten Tag wurde offiziell bekanntgegeben, dass der neue Minister angeordnet hatte, die Gruppe von ProfessorGuschtschenko aufzulösen. Vermutlich hatte Guschtschenko bereits davon gewusst und war deshalb so ausgerastet. Und weil Olga indirekt daran schuld war. Es war schließlich ihre Idee gewesen, einen Zusammenhang zwischen den Morden und der Produktion von Kinderpornos zu suchen. Am Ende war
Verbene
aufgeflogen, im Zuge des Skandals waren Beamtenköpfe

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