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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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hinter Wänden und dichten Vorhängen verborgen war, drängte nun schamlos nach außen, war öffentlich und allgemein zugänglich geworden.
    Um die Tiefe des Sittenverfalls zu begreifen und zu ermessen, durchstreifte der Wanderer das Internet, stieß auf die schlimmsten, schmutzigsten Pornoseiten, las, schaute und bebte vor gerechtem Zorn.
    Eine besonders starke Wirkung auf ihn hatte eine Erzählung eines Porno-Autors namens Mark. Es war eine verschlüsselte Botschaft an ihn, den Wanderer. Gefunden hatte er sie tief unten im Höllenschlund, auf dem eisigen Boden jenes Abgrunds, in den die Kinder fielen.
    In der Erzählung wurde geschildert, wie ein von Geburt reiner Mann, also jemand, der an etwas litt, das die Hominiden Impotenz nennen, eine kleine Prostituierte tötet und ihren Körper anschließend mit einem Öl begießt, mit dem man Babys nach dem Baden einreibt.
    Der süße Duft und die Beschreibung, wie das Öl auf den Körper fließt, in die Falten des sündigen Fleisches dringt, den Leib reinigt und ihn vom letzten Schmutz befreit, versetzte den Wanderer in eine gewaltige, überraschende Ekstase und weckte ein heißes Stechen in der Leistengegend.
    Dieser Gefühlssturm war nur mit jener ersten Ekstase vor vielen Jahren vergleichbar, als er auf dem Dachboden die erste Hominidin getötet hatte. Damals hatte er den ersten Engel befreit, ohne sich dessen bereits bewusst zu sein.
    Das Öl war heiliges Salböl, ein Symbol des Friedens und der Reinheit. Es wusch Spuren ab und würde es den Hominiden erschweren, den Wanderer zu finden.
    Das Spinnennetz war bei den Griechen und Ägyptern einSymbol des Schicksals. Und nun hatte das Netz mit seiner verborgenen Symbolik und seinem offenen Schmutz dem Wanderer einen einfachen, vernünftigen Weg gewiesen.
    Um einen Engel zu befreien, musste er einen jungen Hominiden kaufen, in dem der Engel noch lebte. Im Netz war das Kaufen ungefährlich. Man konnte vollkommen anonym bleiben, erregte keine Aufmerksamkeit. Die Verkäufer wollten nichts als Geld, sie schauten dem Käufer nicht einmal ins Gesicht.
    Der Wanderer erwachte und war sehend. Er empfand bittere Scham für die Jahre dumpfer Untätigkeit.
    Mit Hilfe des Internets konnte er seine heilige Sache endlos fortsetzen.
    In anderthalb Jahren rettete er drei – zwei Mädchen und einen Jungen. Obdachlose Waisen aus der tiefsten Provinz, die Eltern waren tot oder saßen im Gefängnis, die Kinder hatte es nach Moskau verschlagen, in die Fänge von Pornohändlern.
    Er hinterließ keine einzige Spur. Er wusste, dass nicht nur die Miliz nach ihm suchen würde, sondern auch die Zuhälter, die ihm die Kinder verkauft hatten. Den Kontakt zu ihnen hatte er in einem Internetcafé hergestellt, dafür benutzte er nie seinen eigenen Computer. Und zum Telefonieren nur Telefonzellen. Er veränderte sein Äußeres und seine Stimme, zahlte im Voraus und legte ein großzügiges Trinkgeld drauf, denn er wusste: Nichts trübt die Wachsamkeit der Hominiden mehr als Geld.
    Anderthalb Jahre lang suchten sie aktiv nach ihm, fanden aber keine Spur. Niemand hatte begriffen, dass es eine Fortsetzung war, niemand hatte eine Verbindung hergestellt zwischen diesen Leichen und denen, die zehn Jahre zuvor aus dem See in der Nähe der Moskauer Vorstadt Dawydowo gefischt worden waren. Serienmörder machten keine so langen Pausen.
    Aber der Wanderer war ja auch kein Serienmörder. Er tötete keine Kinder. Er befreite Engel.
    Die Hominiden waren machtlos gegen ihn. Niemand, weder die Miliz noch die Zuhälter, ahnte seine wahren Motive.
    Niemand, bis auf diese Frau, den Wandling. Jetzt, nachdem er wieder einen Engel befreit hatte, würde sie erneut nachdenken und handeln. Also musste er dieses gefährliche Geschöpf so bald wie möglich loswerden, musste die Wandlingsfrau aus dem Weg räumen, ein für allemal.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Durch das Wasserrauschen hindurch hörte Ika gleich drei Telefone klingeln, das Festnetztelefon und zwei Handys.
    »Ihr könnt mich mal!«, sagte sie und betrachtete ihr Bein. Es war so lebendig und hübsch, dass allein der Anblick ihre Laune hob. Aber tief in ihr drin regte sich ein gemeiner, hässlicher Gedanke. Dieses feste rosa Fleisch würden eines Tages die Würmer fressen. Eines Tages, nicht sehr bald, aber unausweichlich.
    Das mit den Würmern hatte Mark einmal gesagt. Hatte ihr Bein gehalten, behutsam wie ein Kunstwerk, und plötzlich mit seinem üblichen spöttischen Lächeln gesagt: »Schade, dass diese Schönheit mal

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