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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Schatten.
    »Komm rein, Wowa, genier dich nicht«, rief die Frau, während sie die Hüllen der Videos betrachtete, und sagte zu Ika: »Das ist unser Klempner. Nun geh doch endlich ran, wenigstens an eins. Steh nicht da wie angenagelt!«
    Der Schattenmensch glitt aus dem Flur ins Zimmer, wobei die Bambusstäbe nicht das geringste Geräusch machten.
    Vor der Frau fürchtete sich Ika nicht, sie sah eigentlich ganz nett aus mit ihrer herzförmigen Nase, trotz der kleinen Augen und des schweren, vorgereckten Kinns.
    Wowa hingegen war in Ikas Augen ein Ungeheuer. Dünnes graues Haar bis zu den Augenbrauen, kleine Augen, so tief gelegen, dass man nicht hineinsehen konnte. Direkt unter dem schweren Kinn, das an einen Pflasterstein erinnerte, begann der in ein schwarzes T-Shirt gehüllte hügelige Rumpf. Die schwarze Lederjacke platzte an den pudschweren Schultern aus allen Nähten. Wowa war an die zwei Meter groß und wog an die hundertfünfzig Kilo. Er kam wortlos herein, stellte sich neben die Blondine und musterte Ika von oben herab.
    Die Telefone schrillten noch immer.
    »So ein Dummchen!« Die Frau schüttelte den blondierten Kopf. »Wird angerufen und geht nicht ran. Soll ich, ja?« Sie zwinkerte und lachte. Sie hatte große Pferdezähne.
    Ika rannte zum Festnetzapparat und griff unterwegs nach ihrem vibrierenden Handy. Nun klingelte nur noch das Handy von Mark, ganz leise miaute es wie eine hungrige Katze.
    »Hallo, Ika, hier ist Stas, morgen ist doch ein Dreh, nicht? Also, mein Alter ist besoffen und hat Mama verprügelt, sie liegt im Bett, es geht ihr sehr schlecht, ich kann sie nicht alleinlassen. Und mit dem Kunden kann ich mich auch nicht treffen. Also, er soll Jegorka schicken. Sag Mark, ich arbeite es wieder ab, wenn’s ihr besser geht. He, was ist los, Ika? Hörst du mich?«
    Der hastige Teenager-Tenor erscholl im ganzen Zimmer. Ika fand einfach die Mithörtaste nicht. Ihre Hände zitterten.
    »Ja, Stas, ich höre dich.« Sie erkannte ihre eigene Stimme nicht wieder, so heiser und kläglich klang sie.
    »He, bist du erkältet oder was?«, fragte Stas besorgt.
    Endlich hatte sie die Taste gefunden, drückte sie und schaute zu der Blondine. Die hatte die obere Schublade des Computertischs aufgezogen und kramte darin herum, als wäre sie hier zu Hause.
    »Hör zu, Stas, hier bei mir sind Einbrecher«, murmelte Ika schnell, »also, ruf Ibrahim an, er soll herkommen.«
    »Was?«, fragte Stas verblüfft.
    Es gab keinen Ibrahim. Das heißt, es gab viele Ibrahims, aber Ika kannte keinen. Sie hatte einfach einen x-beliebigen kaukasischen Namen genannt, um den Besuchern einen Schreck einzujagen. Doch die erschraken nicht. Wowa hörte zu, die Frau wühlte seelenruhig weiter in den Schubladen.
    »Stas, tu irgendwas«, flüsterte Ika, »hilf mir bitte.«
    »Wo ist denn Mark? Ist er nicht da?«
    »Nein! Schon seit drei Tagen nicht. Ich weiß nicht, wo er ist. Ich bin hier ganz allein, und dann tauchen die hier auf. Ich dreh noch durch!«
    »Wie viele sind es?«
    »Zwei.«
    »Warum machst du fremden Leuten die Tür auf?«
    »Aus Versehen. Ich dachte, es wäre Mark.«
    »Hör mal, äh, vielleicht rufst du die Bullen?« Stas klang ehrlich besorgt. Er war ein lieber, guter Junge und hatte wirklich Angst um Ika, konnte ihr aber nicht helfen.
    Er wusste ebenso gut wie Ika, dass sie keine Miliz in Marks Wohnung holen durfte. Das schienen auch die Blonde undWowa zu wissen, darum blieben sie so gelassen. Ika sah, dass die Frau Marks Ausweis gefunden hatte, ihn durchblätterte, in die Tasche ihrer rosa Jacke steckte und die Schublade zuschob.
    »Schon gut, Ika, nicht weinen. Halt sie hin, vielleicht fällt mir was ein.«
    Die beiden Handys waren inzwischen verstummt. Als Ika auflegte, wurde es unheimlich still.
    »Du weißt also nicht, wo er ist?«, fragte die Blondine und sah Ika nachdenklich an.
    »Was wollen Sie? Vielleicht erklären Sie mir das mal?«
    »Mark Chochlow«, antwortete das Mädchen und seufzte, »den wollen wir. Und dass du Bescheid weißt, wir sind keine Einbrecher. Stimmt’s, Wowa?« Die Frau lachte.
    Von ihrem Lachen wurde Ika kalt.
    »Was wollen Sie von Mark? Wieso zum Teufel haben Sie seinen Ausweis genommen?«
    »Das geht dich nichts an.« Die Frau musterte Ika kritisch von Kopf bis Fuß. »Wie alt bist du?«
    »Zweiundzwanzig. Legen Sie den Ausweis sofort zurück und verschwinden Sie.«
    Wowa, der Schattenmensch, gab zum ersten Mal Laut – ein leises Schnauben.
    »Sag mal, bist du krank, oder was?«, fragte

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