In ewiger Nacht
Vaselin mit herablassendem Lächeln
»Sie sollen schon in die nächste Nummer.«
»Na schön. Aber keine Fotos. Morgens bin ich nicht in Form.«
»Der Fotograf kann auch am Abend kommen, doch das Interview brauche ich so bald wie möglich. Ich muss ja den Text noch verschriftlichen und Ihnen zur Überprüfung schicken.«
»Gut, dann morgen so gegen zwölf.«
»Oh, geht es nicht ein bisschen früher?«, fragte der Journalist zögernd. »Ich muss um halb eins in Ostankino sein, bei einer Fernsehshow zum Thema Regenbogenpresse – mein erster Fernsehauftritt.«
Vaselin zeigte sich großmütig und bestellte ihn zu elf Uhr in ein Café in der Nähe seiner Wohnung.
Den Rest der Nacht verbrachte Oberleutnant Anton Gorbunow im Internet und sammelte eine Menge interessanter Informationen über Vaselin.
Er erfuhr, dass Vaselin und Valeri Katschalow langjährige erbitterte Feinde waren. Einmal hätten sie sich fast geprügelt. Bei Konzerten war es ungeheuer wichtig, wer wann und nach wem auf die Bühne kam. Katschalow hatte sich geweigert, nach Vaselin aufzutreten, denn dann sei der Saal halb leer, es würden nur noch Gestörte dasitzen, denn allein Gestörte könnten den blutigen Durchfall ertragen, den Vaselin als Songs bezeichne. Vaselin blieb Katschalow nichts schuldig, bezeichnete seine Produktion als Trash, Sowjetpop und Stagnation. Diesen Wortwechsel hatten mehrere Klatschblätter mit großem Vergnügen ausführlich wiedergegeben.
In anschließenden Interviews bewarfen sich die beiden Sänger gegenseitig mit Schmutz. Vaselin behauptete, Katschalow habe sich mit Banditen eingelassen, sei in seiner Jugend bezahlter KGB-Spitzel gewesen und dem ZK des Komsomol in den Arsch gekrochen. Und er singe nie live, weil er weder Stimme noch Gehör habe.
Katschalow seinerseits erklärte, Leute wie Vaselin und sein Publikum gehörten in die Psychiatrie. Alles, was er schreibe, sei Hohn und Plagiat. Seine, pardon, Songs könnten einen glatt dazu bringen, sich aufzuhängen, zum Säufer oder Fixer zu werden. Er sei ein jämmerlicher Parodist, ein unbegabter Wicht, der ständig von seiner Genialität rede.
Zum Schluss schaute Anton noch in den Kriminalreport, aber er enthielt kein Wort über den Mord an Shenja Katschalowa.
Merkwürdig, dachte Anton, es gab doch einen Fernsehbericht. Und Meldungen in allen Lokalnachrichten … Geht das wieder so los wie damals mit Moloch?
Anton wusste, dass das Internet nicht so unkontrolliert war, wie es mitunter schien. Manche brisante Information verschwand nach einigen Stunden schlagartig von allen Seiten. Möglich, dass die Betreiber der jeweiligen Website sie selbst löschten, aber bestimmt nicht freiwillig.
Informationen über Moloch sind also noch immer unerwünscht? Klar, in der Sitzung beim stellvertretenden Minister wurde strikt geleugnet, dass es sich um eine Fortsetzung der Moloch-Serie handelte. Solowjow hatte nicht einmal die Entschlüsselung der Anruflisten aus dem Handy der Ermordeten auf offiziellem Weg bekommen können. Was für ein Irrsinn.
Es war acht Uhr morgens. Anton schaltete den Computer aus, stellte den Wecker auf zehn und schlief angezogen auf der Couch ein.
Die Nacht steht für das Chaos. Sie ist aus dem Chaos geboren und hat zwei Götter hervorgebracht, Thanatos, den Gott des Todes, und Hynos, den Gott des Schlafs. Tod und Schlaf sind Brüder. Sie haben noch einen Bruder – Momos, den Gott der Schmähsucht. Er ist mit den dunkelsten Tiefen des Bösen verbunden, mit den unterirdischen Abgründen des Tartarus. Die blinden Kinder trugen zweifellos das Zeichen der Finsternis. Sie lebten in einer noch schlimmeren und hoffnungsloseren Finsternis als die übrigen Hominiden, und die Engel in ihnen litten fürchterlich.
Manchmal schien es ihm, als habe er alles, was ihm in den Nächten in der kleinen Moskauer Vorstadt Dawydowo widerfahren war, nur geträumt. Die Hominidenhaut wuchs allmählich in seine sensible Haut ein, und er wollte sie nicht mehr herunterreißen.
Er vergaß seine große Mission und hörte sich immer seltener die Kassetten mit der Stimme des Geschöpfes aus dem Reich des Lichts an.
Wenn er nachts nicht schlafen konnte, fragte er sich mitunter: Ist es wirklich vorbei?
Er wusste: So mühelos und ungestraft wie in der Nähe des Heims in Dawydowo würde er nirgends vorgehen können.
Die Welt der Hominiden faulte von innen heraus, und der Gestank nahm ihm den Atem. Laster und Unzucht überfielen den Wanderer von allen Seiten; was früher
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