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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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rissen Knöpfe von seinen Kleidern, stahlen seine Unterwäsche und seine schmutzigen Socken. Die Hasserfüllten provozierten Vaselin zu Prügeleien, beleidigten oder schlugen ihn, spuckten ihm ins Gesicht.
    »Weißt du was, Natascha, lauf hin, in dieses Café«, sagte Boris.

Sechsundzwanzigstes Kapitel
    Glücklicherweise war der Autoschlüssel in seiner Jacketttasche, er musste also nicht noch einmal nach Hause. Sazepa hätte Sojas Fragen jetzt nicht ertragen, ja, nicht einmal ihren Anblick.
    Er ging vom Café aus gleich zur Garage, den geschlossenen Umschlag in der Hand.
    Ein paar Minuten lang saß er im Wagen und starrte vor sich hin.
    Ich bin einer von ihnen? Wie oft habe ich daran gedacht, zu warten, bis sie volljährig ist, mich von Soja zu trennen, Shenja zu heiraten und mit ihr für immer wegzuziehen, irgendwohin ans warme Meer, nach Spanien oder Griechenland. Dabei wusste ich, dass das nie geschehen würde, dass jede Begegnung die letzte sein konnte.
    Die Kulissen waren eingestürzt, der Himmel war nicht mehr der Himmel, sondern eine niedrige graue Decke voller Wasserflecke, Risse und Spinnweben. Licht spendete nicht die Sonne, sondern eine verstaubte nackte Glühbirne an einem schiefhängenden Kabel. Ja, so sah seine Welt nun aus,tot und unerträglich öde; und so würde es für immer bleiben.
    »Die Kulissen sind eingestürzt«, murmelte er und drehte den schmalen Ehering am Finger, »ringsum nichts als Schmutz, und ich liege unter den Trümmern. Groschew, der Liebhaber kleiner Jungen, reicht mir, dem Liebhaber kleiner Mädchen, die starke, helfende Freundeshand.«
    Das Geträller des Mobiltelefons holte ihn zurück. Das Display zeigte die Nummer seines Vorzimmers.
    »Guten Morgen, Nikolai. Ich habe hier einen Kriminalbeamten am Apparat«, informierte ihn die Sekretärin leise und ein wenig verlegen. »Er fragt, wann er vorbeikommen kann.«
    »Wie heißt er?«
    »Solowjow.«
    »Was liegt heute Morgen an, die nächsten anderthalb Stunden?«
    »Nichts weiter. Sie wollten heute erst um elf hier sein.«
    »Schön, dann richte ihm aus, er soll in einer halben Stunde kommen.«
    Sazepa steckte das Telefon weg. Der Besuch eines Kriminalisten löste keinerlei Emotionen aus, keine Aufregung, nicht einmal Neugier. Er war zu träge, darüber nachzudenken, worum es gehen könnte. Nach dem Gespräch mit Groschew hatte ihn eine unüberwindliche Apathie erfasst.
    Bevor er die Garage verließ, wählte er auf seinem Reservehandy die Nummer von Shenjas Mobiltelefon. Er wollte nicht mit ihr sprechen, er musste nur ihre Stimme hören. Eine fremde Frau meldete sich. Sazepa unterbrach die Verbindung sofort, steckte das Telefon weg, fuhr los und war zwanzig Minuten später im Büro.
    Im Vorzimmer war nur seine Sekretärin.
    »Der Kriminalist ist noch nicht da?«
    »Nein. Er muss jeden Moment kommen. Was ist denn passiert?«
    »Keine Ahnung.«
    Sazepa huschte in sein Büro, schleppte sich zum Sofa und ließ sich darauf fallen. Etwas Spitzes stach ihn in die Hand. Es war eine Ecke des Umschlags, den er mechanisch aus dem Auto mitgenommen hatte und noch immer in der Hand hielt.
    Eine Großaufnahme eines vertrauten kindlichen Gesichts. Das etwa dreizehnjährige, sehr blasse, erschöpft wirkende Mädchen schien zu schlafen. Ja, wären nicht die merkwürdigen Flecke an ihrem Hals gewesen, hätte man denken können, sie schliefe. Kastanienbraune Rastazöpfe. Er war damals furchtbar enttäuscht gewesen, als sie das mit ihren Haaren angestellt hatte. Vor etwa anderthalb Monaten. Das Muttermal auf der rechten Wange, ein winziger Tropfen dunkler Schokolade. Sie wollte es weglasern lassen. Die schmale, kaum sichtbare Narbe über der linken Augenbraue – mit sechs hatte sie sich an der Ecke des Küchenschranks verletzt.
    Sazepas Hände zitterten so heftig, dass er das Foto fallen ließ. Er griff nach dem nächsten, das ihm ebenfalls entglitt, und vernahm einen grässlichen unterdrückten Schrei.
    Es war Castroni, der schrie. So schrie, dass die Ohren taub wurden und die Luft vibrierte. Nein, das Vibrieren kam von der Telefonanlage. Sazepa versuchte aufzustehen, um zum Tisch zu gehen und abzuheben, schaffte es aber nicht. Sein Herz hämmerte, nicht in der Brust, sondern am anderen Ende des Büros. Ihm platzte gleich der Schädel, und jedes Geräusch vermehrte die Qual, besonders dieses hartnäckige Klopfen. Sazepa hielt sich die Ohren zu. Das Klopfen kam von der Tür, die gleich darauf geöffnet wurde.
    »Nikolai, was ist mit Ihnen?« Die

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