In ewiger Nacht
verließen die Stadt. Zwanzig Kilometer hinter dem Stadtring, an einem einsamen, menschenleeren Ort, hielt er an. Er hat sie vermutlich nicht mit Gewalt weggeschleppt. Es war spät am Abend, trotzdem ist die Straße relativ belebt, man hätte sie sehen können. Er handelt stets wohlüberlegt und hinterlässt keine Spuren und keine Zeugen. Sie liefen nur ein kurzes Stück durch den Wald, gerade so viel, dass sie außer Sicht- und Hörweite der Straße waren. Irgendwann begriff oder spürte sie wohl etwas und versuchte wegzulaufen. Vielleicht konnte sie sogar noch schreien. Ich denke, das geschah, als er das Nachtsichtgerät aufsetzte und die Chirurgenhandschuhe anzog. Sie rannte los, er warf einen Stein nach ihr und traf sie am Hinterkopf. Nach dem Bluterguss zu urteilen, ein Aufprall von großer Wucht. Sie fiel hin. Er stürzte sich auf sie und würgte sie.«
»Warum?«, flüsterte Sazepa. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
Solowjow reichte ihm eine Packung Papiertaschentücher.
»Ihr Gesicht ist voller Tränen.«
»Danke.« Sazepa nahm mechanisch ein Taschentuch, wischte sich das Gesicht ab und schnäuzte sich. »Ich verstehe nicht, was Sie von mir wollen. Wie gesagt, ich kenne dieses Mädchen nicht.«
»Warum weinen Sie dann?«
»Der Anblick des toten Kindes hat mich stark erschüttert.« Das Sprechen fiel ihm schwer. Seine Stimme klang heiser und brüchig, Solowjow musste näher heranrücken, um ihn zu hören.
»Ja, der Tod eines Kindes ist etwas wirklich Schlimmes. Vor allem, wenn es nicht durch Krankheit oder Unfall gestorben ist, sondern ermordet wurde. Ich verbiete mir normalerweise, über solche Dinge nachzudenken, sonst könnte ich nicht arbeiten. Aber jetzt will ich mir zusammen mit Ihnen doch einmal vorstellen, was sie fühlte, als sie am Kopf getroffen wurde.«
»Warum quälen Sie mich? Bitte gehen Sie, ich habe furchtbare Kopfschmerzen.«
»Gut.« Solowjow nickte. »Ich gehe gleich. Aber Sie bekommen von mir eine offizielle Vorladung zur Vernehmung. Und Ihre Frau auch. Das Parfüm der Firma Materozoni, das wir in der Wohnung des toten Mädchens gefunden haben, gehört nämlich ihr. Und wir werden Sie Marina Katschalowa gegenüberstellen. Sie wissen, wer das ist? Shenja hat Ihnen im Nachtklub bei einem Konzert von Vaselin die junge Frau ihres Vaters vorgestellt. Allerdings gaben Sie sich als italienischer Professor namens Nicolo aus, der kein Wort Russisch spricht.«
»M-m«, stöhnte Sazepa und presste die Hände auf die Schläfen.
»Hören Sie, brauchen Sie wirklich keine ärztliche Hilfe?«, fragte Solowjow. »Ich sehe doch, dass es Ihnen schlecht geht.«
»Nein. Nicht nötig. Die Kopfschmerzen gehen gleich vorbei, ich habe eine Tablette genommen. Das ist nichts Ungewöhnliches. Der Blutdruck, Gefäßkrämpfe. Bitte keine Vorladung, halten Sie Soja da raus, ich bitte Sie, lassen Sie mich in Ruhe. Ich weiß nichts. Mein Gott, das ist unerträglich! Öffnen Sie bitte das Fenster, es so stickig hier drin.«
Solowjow erfüllte Sazepas Bitte und setzte sich wieder neben ihn.
»Shenja können wir nicht mehr helfen, aber wir müssen ihren Mörder finden. Es ist ein Psychopath, ein Serienmörder, er hat vor Shenja schon drei Kinder getötet und wird vermutlich noch mehr töten. Er erwürgt sein Opfer, zieht es aus, schneidet ihm Haare ab und nimmt noch ein Souvenir mit. Bei Shenja war es ein Anhänger mit einem kleinen Saphir, ein Geburtstagsgeschenk ihres Vaters. Anschließend übergießt er den Leichnam mit Babyöl. Das ist ein Ritual.«
»Es reicht. Genug.« Sazepa hob den Arm, als wolle er sich vor einem Schlag schützen. »Ich werde Sie nicht weiter anlügen. Aber ersparen Sie mir bitte diese Einzelheiten, bitte. Ich habe sie geliebt. Wir waren seit zwei Jahren zusammen. Ich habe eine Wohnung gemietet. Ich habe ihr Geld gegeben. Wie hätte ich sie sonst halten können? Und mir schien, dass auch sie auf ihre Weise an mir hing.«
»Das alles fing also an, als sie dreizehn Jahre alt war? Und Sie, Verzeihung, achtundfünfzig?«, unterbrach ihn Solowjow.
»Siebenundfünfzig! Ja, ja, ja! Sie war dreizehn, ich siebenundfünfzig. Aber Pornofilme gemacht und sich für Geld mit erwachsenen Männern getroffen hat sie schon mit elf. Das habe ich erst vor kurzem erfahren. Vor knapp zwei Wochen.«
»Von wem?«
»Von ihr selbst, von Shenja. Sie sagte, sie wolle damit aufhören und brauche Geld, um sich von ihrem Zuhälter freizukaufen. Zehntausend Euro. Ich habe ihr zweitausend gegeben und ihr
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