In ewiger Nacht
angerufen, mich nicht, dachte Solowjow gekränkt, sagte es aber nicht laut.
Durchs Telefon hörte er eine gereizte Frauenstimme.
»Olga, wie lange dauert das denn? Alle warten auf Sie!«
»Ja, ich komme! Entschuldigen Sie. Dima, ich habe schreckliche Sehnsucht nach dir.« Den letzten Satz flüsterte, neinhauchte sie, so leise, dass er nicht wusste, ob er sich nicht getäuscht hatte.
Solowjow steckte das Telefon weg und lief auf Wattebeinen zum Auto. Eigentlich sollte er sofort ins Büro fahren und Meldung erstatten. Formal hatte er nichts falsch gemacht. Er hatte das Recht, Sazepa als Zeugen zu befragen. Aber hätte er ihn ins Büro bestellt, wäre er garantiert mit einem Anwalt im Schlepptau erschienen und hätte nichts zugegeben. Überhaupt – es war ja kein Verhör gewesen. Nur ein Gespräch. Es war nicht seine Schuld, dass Sazepa danach einen Schlaganfall erlitten hatte. Außerdem hatte er sich vor diesem Gespräch mit irgendwem getroffen. Von diesem Jemand hatte er wahrscheinlich die Fotos.
Solowjow stieg ins Auto und zog, bemüht, die fremden Fingerabdrücke nicht zu verwischen, die Fotos aus dem Umschlag.
Die Aufnahmen hatte ein Profi gemacht, im Leichenschauhaus, noch vor der Obduktion. Ausgezeichnete Originalabzüge. Der Jemand musste die Negative aus dem Safe der Kriminaltechnik gestohlen oder seinen eigenen Fotografen in den Sektionssaal geschickt haben. Ja, wahrscheinlich Letzteres.
Wozu, fragte sich Solowjow. Vielleicht wurde Sazepa wirklich erpresst? Aber dafür hätte man ihm doch eher ganz andere Fotos vorgelegt, mit versteckter Kamera aufgenommene Bilder von ihm mit der lebenden Shenja. Doch vielleicht ist das schon geschehen. Und nun wollte jemand dem armen Mann zeigen, dass er ernsthaft in der Tinte saß? Dass er leicht zum Mordverdächtigen werden konnte?
Das Leichenschauhaus wurde nur unzureichend bewacht. Für zweihundert Rubel kam jeder x-Beliebige rein und konnte fotografieren, was er wollte.
Solowjow betrachtete noch einmal den Umschlag. Sehr gutes, teures Papier, fest und schwer, hellblau getönt. Kein Aufdruck, kein Stempel, kein Logo.
Nein, bitte, ich kann nicht, dieser Mann ist ein Ungeheuer.
Sazepas letzte Worte. Also doch Erpressung? Ermittelte hier jemand auf eigene Faust? Oder hatte Sazepa jemanden um Hilfe gebeten? Warum nicht? Womöglich hatte er jemanden beauftragt, diesen Mark aufzuspüren, ihn in die Zange zu nehmen und herauszufinden, wie gefährlich er Sazepa werden konnte.
Ja, wahrscheinlich hatte Sazepa genau das getan.
Bei Olga liegt ein Patient mit Amnesie. Er zitiert den Pornographen Moloch. Aber das muss nicht unbedingt er selbst sein, vielleicht nur ein Irrer, der verrückt ist nach Kinderpornos? Vom Riesenrad runtergeholt.
Irgendwer ist hinter ihm her, und nun verkriecht er sich.
Wahrscheinlich hat Olga recht. Aber wenn die Miliz den Pornographen überwacht hätte, wüsste ich davon.
Der Mörder war ein Kunde von Moloch, hat ihn kontaktiert und für ein Treffen mit Shenja bezahlt. Mark Moloch ist ein Einzelgänger, er arbeitet ohne Helfer und Vermittler, darum ist er so schwer zu fassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die beiden begegnet sind, ist also ziemlich groß.
Moloch hat sich mit Moloch getroffen. Der Pornograph und der Mörder. Namensvettern.
Der Mörder ist der Schatten des Pornographen. Niemand kann über seinen eigenen Schatten springen. Aber vielleicht sind sie sich wirklich begegnet?
Bei diesem Gedanken bekam Solowjow einen trockenen Mund.
Nein. Unmöglich. Selbst wenn sie sich begegnet sind – der Mörder-Moloch hat bestimmt sein Äußeres verändert.
Das Telefon klingelte.
»Boris Rodezki, Shenjas Lehrer. Ihr Klassenleiter. Unterrichtet Russisch und Literatur«, sagte Anton.
»Sehr gut. Prima. Und was folgt daraus?«
»Shenja hat sich am Sonntag mit ihm getroffen, gegen zehn Uhr abends.«
»Wo?«
»Im Park in der Nähe ihres Hauses.«
»Woher stammt die Information?«
»Von Kuwajew.«
»Seltsam. Und was ist mit Kuwajew selbst?«
»Fehlanzeige. Er war mit Shenja im Klub, dann hat er sie mit dem Taxi zum Park gebracht, ist nach Hause gefahren und hat die Wohnung bis zum nächsten Morgen nicht mehr verlassen. Ein hieb- und stichfestes Alibi, mehrere Zeugen. Die Vorladung habe ich ihm trotzdem in die Hand gedrückt. Ich glaube, aus ihm ist noch mehr rauszuholen. Ein ganz mieser Typ. Stellen Sie sich vor, es ist ihm scheißegal, dass das Mädchen getötet wurde. Hauptsache, er hat nichts damit zu tun.«
»Schön, darüber
Weitere Kostenlose Bücher